Callas' letzte Stunden abgeschritten

Die Uraufführung von Haydées/Ivos „M. – wie Callas“ im Stuttgarter Theaterhaus

Stuttgart, 05/06/2002

Anstatt sich um eine wirklich originelle Charakterisierung der damals singulären Bedeutung von Marcia Haydée als dramatischer Ballerina zu bemühen, ist ein französischer Ballettkritiker vor vielen Jahren auf die plumpe Idee verfallen, sie die „Callas des Tanzes“ zu nennen. Ob jemals einer gewagt hätte, die einzigartige Maria Callas mit „Haydée der Oper“ herabzuwürdigen? Wie auch immer – solche griffigen Formulierungen bleiben haften. Schließlich hat selbst die Haydée dermaßen Gefallen an ihr gefunden, dass sie nicht nur eine Hand voll Gemeinsamkeiten mit der Callas ausgemacht – hoffentlich nicht auch noch deren einsames und verbittertes Sterben –, sondern nun sogar im Wangener Theaterhaus ein Tanzduo mit dem Titel „M. – wie Callas“ uraufgeführt hat.

Die Choreografie stammt von Ismael Ivo, Haydées brasilianischem Landsmann und Bühnenpartner der vergangenen Jahre und auch dieses Stückes. Die beiden beginnen allmählich immer vom gemeinsamen künstlerischen Kredit zu verspielen. Nach ihrem erfolgreichen Erstling „Tristan und Isolde“ (1999) begann sich bereits im vergangenen Jahr mit „Ödipus“ (Regie: George Tabori) abzuzeichnen, dass mit dem Wiederholen des ewig gleichen Konzepts aus bedeutungsvoller Lauferei, düsteren Blicken, Schwitzen und zahllosen Requisiten auf Dauer kein Blumentopf zu gewinnen sein würde. Dass sie nun genau das erneut als dominierendes Stilmittel einsetzen und damit siebzig Minuten lang vorwiegend Langeweile erzeugen, erstaunt umso mehr, als dass dieses Werk bereits bei der Geburtstagsfeier für Marcia Haydée vor sechs Wochen an gleicher Stelle voraufgeführt wurde und somit noch hinreichend Gelegenheit für Korrekturen war.

Selbstverständlich kann die Haydée heutzutage die stimmliche Virtuosität und Ausdruckskraft der Callas sowie ihre darstellerischen Qualitäten nicht mehr tänzerisch darstellen. Folglich beschränkt sich das Stück auf die letzten Wochen im Leben der griechischen Primadonna, in denen sie, von der Öffentlichkeit und ihren Freunden vergessen, in einem Hotelzimmer dem Tode entgegensiecht. Ihre innere Stimme singt noch einmal ihre großen Arien von Puccini bis Bellini, sie erinnert sich an ihre prächtigen Kostüme, greift immer wieder zum Telefon, das stumm bleibt und nur in ihrem Gehirn unablässig klingelt.

Ivo umgeistert sie als dienstbarer Lakai, der, wenn Madame nichts wünscht, die von Marcel Kaskeline mit Schuhen, Telefonen, Kleidern und einer weißen Laufbahn ausgestattete Bühne mit der Beflissenheit eines Schiedsrichters beim direkten Freistoß abschreitet. Schließlich entblößt er seinen Oberkörper und macht der Callas symbolisch den Garaus. Das wirkt alles so konstruiert und auf Eindruck Machen ausgerichtet, dass man sich schnell daran sattsieht.

Selbstverständlich ist die Haydée mit ihrem leidenden Gesicht und ihrer unnachahmlich suggestiven Körpersprache noch immer über weite Strecken imponierend. Und auch Ivos tellergroße Augen im schweißüberströmten Gesicht können einen, vor allem, wenn man sie zum ersten Male sieht, schon das Fürchten lehren. Aber ein Tanzstück dieses Kalibers bracht mehr Substanz als zwei starke Persönlichkeiten, die sicher selbst alles das verstehen, was sie tun, sich aber nicht, oder nicht professionell genug, darum kümmern, ob das auch ihrem Publikum so geht. Dennoch viel und starker Applaus.

Kommentare

Noch keine Beiträge