Ballettgala „Stars of the Kirov“

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Baden-Baden, 29/12/2002

Sonst nennen sie sich ja inzwischen wieder Mariinsky-Ballett St. Petersburg, doch für die Schluss-Gala ihres Gastspiels im Baden-Badener Festspielhaus (das mit „Schwanensee“ begonnen hatte, gefolgt von einem Fokine-Abend und der mit besonderer Spannung erwarteten „Bayaderka“ vom Jahrgang 1900) firmierten sie als „Stars of the Kirov“. Es war die erste Ballettgala meines inzwischen doch schon recht lange währenden professionellen Lebens, die pünktlich endete: um 21.15 Uhr, mit nur einer Pause nach dem Beginn um 19 Uhr. Wie wohltuend nach all den Übersättigungsgalas von Stuttgart, Berlin, München, Hamburg e tutti quanti. Das ist eben das St. Petersburger Maß für Proportionen!

Die Superstars wie Vishneva, Machalina und Zelensky waren zwar nicht mit von der Partie, doch einer ließ es sich nicht nehmen: Veteran Faruk Rusimatow beglückte uns mit Eifmans „Zum Tod des Dichters“, und so starb er denn, ausgemergelt und ausgestrippt bis auf den Totenslip, Väterchen Russland. Und wir rätselten, wer der Dichter denn wohl sein sollte: Jessenin oder gar Majakowski (doch nicht etwa Alexander Blok)? Mancher mag ihn auch für die Achmatowa gehalten haben!

Begonnen hatte das Programm mit Balanchines „Serenade“, sozusagen als Bekenntnis zur New York-St. Petersburger Ballettachse, doch von den Newa-Abgesandten Terpsichores unvergleichlich poetischer getanzt als von der heutigen Generation der Kollegen aus Manhattan. Erstmals sah ich die Eröffnungspose mit dem ausgestreckten Arm und der abgewinkelten Hand , die dann quasi als Binde vor die Augen geführt wird, als Abschiedsgruß an „Schwanensee“, mit einer anschließenden Öffnung ins Martha-Graham-Country des „Appalachian Spring“. Doch durfte der russische Schwan natürlich nicht fehlen, wenn auch nur als Einzelexemplar und wiederum sterbend, von Daria Pavlenko, der gestrigen Nikija, zu Tode getanzt, einem Tod in Schönheit, doch ohne das kräuselnde Armwellenspiel der Plissetzkaja in ihrer großen Zeit (und darum auch ohne Wiederholungsforderung).

Ansonsten eine Auswahl von Pas de deux aus der Pralinenschachtel der kaiserlichen Hof-Patisserie plus einem Präsent aus dem Café Wien, gleich um die Ecke von Tiffany, und von Fortnum & Mason in London. Zuerst also Lopuchows „Arlequinade“, reinstes St. Petersburger Porzellan-Marzipan, von Jevgenja Obrazowa und Andrei Iwanov absolut standfest und unzerbrechlich artig kredenzt. Am nichtssagendsten in dieser Präsentation süßmäuliger Schleckereien MacMillans „Manon“-Pas-de-deux von Irma Nioradze und Andrei Merkuriev.

Dann aber ging´s in die Vollen: mit „Le Corsaire“, als der sich Igor Kolb seiner angehimmelten Medora alias Sofia Gumerowa zu Füssen warf. Dann kam auch schon Balanchines „Tschaikowsky-Pas-de-deux“, von Jana Ajupowa wie ein Kanarienvogel mit ihren Füssen gezwitschert und von Andrian Fadejev mit der leichten Bravour geschmettert, die ihm die Trompete vorgab (und die er am Vorabend als Solor nicht hatte loswerden können).

Und dann auch schon als Finale, natürlich, „Don Q“, mit Elvira Tarasowa als kreiselnde Kitri und dem hübschen, schlusspositionsmarkanten, aber nicht so unbedingt fang- und griffsicheren Leonid Sarafanov als Basilio. Die Mariinsky-Orchestralen, an diesem Abend unter Maestro Boris Grusin (24 Stunden zuvor nicht weniger engagiert unter Mikhail Sinkewitsch), in Topform, inklusive ihrer höchst verführerisch phrasierenden Instrumentalsolisten. Fortsetzung dringend erwünscht!

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