Bartabas: Triptyk

Getanzte Poesie

oe
arte, 03/10/2001

arte, 3. Oktober 2001: Keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte, als arte für das Abendprogramm des Fernsehens am Tag der deutschen Einheit ankündigte: „Bartabas: Triptyk. Getanzte Poesie“. Ich hielt den Namen zunächst für einen Druckfehler. Musste es nicht Barrabas heißen? Stutzig machte mich die Mitwirkung von Pierre Boulez und die Ankündigung dreier Werke: „Sacre du printemps“ und „Psalmensinfonie“ von Strawinsky und von Boulez „Dialogue de l´ombre double“. Übersehen hatte ich, dass es sich um eine Aufführung des Pariser Théâtre Zingaro handelte.

Nicht angekündigt war, dass das Ganze im Zirkus stattfand. Zunächst „Sacre“ wie gehabt: atavistische, halbnackte Gestalten mit Tattoo-Bemalung, die sich im Manegenrund auf der Erde wälzen, sich peu à peu aufrichten und sich in spastischen Zuckungen ergehen – im Hintergrund Boulez mit dem Orchester (auffallend seine äußerst sparsame Zeichengebung, ohne Dirigentenstab). Dann aber jagen Reiter herein, und man dankt an Dschingis Khan und seinen Horden, die ihre Pferde um den äußersten Manegenrand lenken. Später mischen sie sich unter die Tänzer, und es gibt aufregende Verfolgungsjagden – auch indem die Tänzer sich an die verlängerten Schwänze der Pferde klammern und von ihnen über den Boden geschleift werden, im zweiten Teil dann auch über sie hinwegturnen. Das ist äußerst spannend und dabei ungemein musikalisch choreografiert.

Auch der zweite Teil, der für die unbemannten Stuten choreografiert ist (man befürchtet, sie sich über Boulez stürzen zu sehen, der unbeirrt mit dem Rücken zur Manege dirigiert). Dann übernehmen wieder die Männer die Führung der Pferde, auch eine herrschaftlich gekleidete Amazone ist darunter, und die Verfolgungsjagden werden noch atemberaubender, wenn drei Mann zwei nebeneinander herjagende Hengste bereiten und dort die tollsten akrobatischen Kunststücke ausführen. Und alles geschieht im engsten Einvernehmen mit der Musik. Eine geopferte Jungfrau habe ich allerdings nicht entdecken können – aber vielleicht lag das ja an mir, dass ich in diesem tänzerisch-equestrischen Sturm der Leidenschaften den Faden verloren habe. Es war jedenfalls das Aufregendste, was mir in den letzten Monaten an Tanz begegnet ist, und der Choreograf heißt offenbar Bartabas.

Die beiden folgenden Nummern fielen demgegenüber ab. „Dialogue de l´ombre double“ war im Grunde eine Art Pas de trois für den Soloklarinettisten, einen Tänzer (später stieß ein zweiter hinzu) und diverse abstrakte hölzerne Pferdeplastiken (sie wirkten wie aus Wurzelwerk modelliert) – das erinnerte ein bisschen an Béjarts sehr frühen „Le Teck“ als Tänzerduo mit einer Plastik von Martha Pan – und an Jochen Ulrichs diverse Choreografien in den Environments-Raumskulpturen von Alfio Giuffrida).

Die „Psalmensinfonie“ war dann sogar ein bisschen langweilig: Mädchen, sehr schön und lieblich anzusehen, die ihre Stuten im Kreis um die Manege ritten und dann mit ihnen posierten, indem sie sie mit Zuckerstücken liebkosten, ab und zu ein Mann, der sich aus der Kuppel abseilte und dabei die tollsten Rotationen ausführte... eine Antiklimax. Doch das Ganze ein ausgesprochener Überraschungscoup. Die Überführung der bedeutenden Tradition der großen Reiterballette des Barock und der Vorführungen der Spanischen Hofreitschule in Wien in ein erregendes, durch und durch heutiges Spektakel. Ich konnte nur staunen über die so ausgesprochen musikalische Integration von Tänzern und Pferden – und hätte gern mehr gewusst über diesen Bartabas und seine Equipe. Einen kurzen Bericht über ein früheres Programm „Tänzer zu Pferde“ fand ich nachträglich im Februarheft des Jahrgangs 1998 von „Europe´s Leading Dance Magazine“ (das sich damals allerdings noch nicht so nannte).

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