Richard Wherlock mit den „Kindertotenliedern“

und „Sacre du printemps“

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Basel, 31/01/2002

Nach mancherlei Aufgewärmtem als Apéro zur Spielzeit das erste richtige Premierenprogramm Richard Wherlocks als Basler Ballettchef (und Nachfolger Joachim Schlömers, der am gleichen Abend mit „Les larmes du ciel“ in Luzern Premiere hat). Es ist die dritte Vorstellung der Premiere vom 26. Januar im Abonnement, vor etwa zwei Drittel gefülltem Haus.

Eher unglücklich ist das Sinfonieorchester Basel samt Dirigent Jörg Henneberger und Mezzosopranistin (Rita Ahonen? Gudrun Pelker? – auf jeden Fall falsch besetzt, denn wenn überhaupt ein Liederzyklus, dann verlangt dieser nach einer Männerstimme) im Hintergrund der Bühne postiert. So gerät die Musik nicht zuletzt aus akustischen Gründen ins Hintertreffen – und das bei zwei derart substanziellen Stücken. Dass es in diesem Falle nicht unbedingt ein Nachteil ist, hat damit zu tun, dass Wherlock einer der unmusikalischsten Choreografen seiner Spezies ist.

Man muss seinen Mahler nicht mit Tudors „Dark Elegies“ vergleichen – einem der Meisterwerke des Balletts im 20. Jahrhundert –, um zu erkennen, dass das Stück überhaupt keine choreografische Identität besitzt: fünf zusammengeklitterte Pas de deux in nahtloser Abfolge für fünf Tänzerpaare, die alle Trauer mimen – und dazu hochakrobatische Lifts exekutieren, die überhaupt nicht zum verhaltenen Stimmungsgehalt der Musik passen. Eminent vergessenswert! Die Wildheit der Musik, ihre widerborstige Sperrigkeit, ihre chaotische Suggestion rettet Wherlock sodann, indem er sie in chaotischen Aktionismus auflöst – brav auf die musikalischen Einschnitte reagierend, aber im Grunde mit immer demselben choreografischen Material (vorzugsweise vogelscheuchenartige Flugbewegungen, aber auch viel Bodengeturne).

Zur Überhöhung des nichtssagenden Geschehens hat er sich als Prolog (zu Naturgeräuschen) und als Schlusspointe ein Wasser-Reinigungsritual ausgedacht. Da ist nichts von dem klaren Aufbau und der strengen Struktur wie gestern bei Antonio Gomes in Mannheim – und ganz isoliert steht das Schlusssolo, in dem Ayako Nakano sich wie ein waidwunder Vogel zu Tode tanzt. Alles scheint beliebig, austauschbar – ohne Bezug zum Thema, geschweige denn zur Musik. Das Publikum war gleichwohl begeistert – offensichtlich erleichtert, den unbequemen und anstrengenden Schlömer endlich los zu sein. Nach Bertrand D‘Ats „Pagodenprinz“ in Straßburg hier nun binnen weniger als zwei Wochen bereits die zweite Nominierung für den Zitronenpreis der Spielzeit!

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