Katja Erdmann-Rajski: Gret Palucca

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Stuttgart, 11/04/2001

Ein paar tanzlose Tage – eine gute Gelegenheit, auf ein Buch hinzuweisen, das mir aus verschiedenen Gründen wichtig scheint: Katja Erdmann-Rajski, „Gret Palucca – Tanz und Zeiterfahrung in Deutschland im 20. Jahrhundert: Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Deutsche Demokratische Republik“. Herausgegeben vom Deutschen Tanzarchiv Köln. Georg Olms Verlag, Hildesheim, 2000. 420 Seiten, zahlreiche Abbildungen, DM 128.-. ISBN 3-487-11143-8. Entstanden als Dissertation für die Fakultät Geschichts-, Sozial-und Wirtschaftswissenschaften der Universität Stuttgart (mit 876 Fußnoten, die sich aber zum größten Teil außerordentlich spannend lesen).

Wichtig als erstes Buch über Palucca von einer westdeutschen Autorin, Dozentin für Rhythmik – und als solches ohne den Segen der Dresdner Palucca-Erben entstanden und von diesen mit äußerster Skepsis beäugt. Wichtig, weil es Palucca ganz aus der Perspektive des Zeitgeistes im Kaiserreich, während der Weimarer Republik, unter den Nazis und schließlich ihres fast halben Jahrhunderts als künstlerische Galionsfigur der DDR betrachtet und untersucht, wie dieser Zeitgeist sich in ihren Tänzen, ihren Choreografien und vor allem in ihrer Pädagogik manifestiert hat – positiv, negativ und in ihrem zähen Widerstand gegen die jeweiligen politischen Obstruktionen.

Es ist also von den ständigen Wechselwirkungen und gegenseitigen Beeinflussungen zwischen historischen, politischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Zeitphänomenen der Fall – auch der Sport spielt eine wichtige Rolle, die Bildende Kunst (Palucca war mit führenden Vertretern des Bauhauses befreundet) und die jeweiligen Moden der Gesellschaftstänze – zusammengefasst unter dem Begriff „Interaktion“. Ich gestehe meine Schwierigkeiten mit ihrer Terminologie der drei Bewegungsweisen, bin aber voller Bewunderung, wie es Erdmann-Rajski, die Palucca nie hat tanzen sehen, gelingt, Paluccas Tänze und ihr Lehrsystem aus Fotos, Aufzeichnungen, Kritiken und Zeitzeugnissen zu rekonstruieren, so dass man den Eindruck gewinnt, einen Film über ihr Leben und ihre Kunst abrollen zu sehen. Wünschte, es gäbe ähnliche „interaktionistische“ Darstellungen über das Leben und die Kunst von Laban, Wigman und Hoyer!

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