„Euphoria“ von Hoyoung Im
„Euphoria“ von Hoyoung Im

Was brauchen wir, um gemeinsam glücklich zu sein?

„Euphoria“ von Hoyoung Im im Dock 11 Berlin

Der nur 50 Minuten lange Abend wagt sich an große Themen, hat Mut zur Lücke und schafft es in kurzer Zeit sowohl gegenwartsbezogenen als auch historischen Themen Perspektive zu verleihen.

Berlin, 19/02/2022

Unter der dunklen Bettdecke, das Smartphone in der Hand – Ganz intim beginnt der Einstieg in die Tanzperformance des koreanischen Tänzers und Choreografen Hoyoung. Das grelle Licht des Displays blendet, das Gezeigte amüsiert. Hoyoung Im lacht kurz auf, schmunzelt, wälzt sich umher. Irgendwann fällt das Handy unbeholfen aus der Hand. Schnell wieder auffangen, weiter scrollen. Nichts passiert!

Fliegender Wechsel in eine andere Sphäre: Hoyoung Im berichtet von seiner Begegnung mit einem Tiger. Irgendwo auf einem Berg und irgendwo auf seinem persönlichen Erinnerungspfad saß der Tiger königlich in die Ferne blickend da und atmete ruhig. Inhale - Exhale! Beeindruckt von der Präsenz und Ruhe des Tigers, die sogar der Kraft des mächtigen Berges standhalten kann, ahmt er die Bewegung des majestätischen Tiers nach.

So wie der Tiger müsste man sein, frei (von der digitalen Welt?), ohne Angst, yogisch - die Message wird schnell klar und wirkt zunächst etwas überdeutlich und moralisch. Doch im Laufe der Performance verweben sich Hoyoung Ims zu Beginn simplifiziert scheinende Motive zu einer bildstarken und intelligenten Reflektion von Identität, Kultur und Emotion.

Hoyoung Im, der sich ausgehend vom konfuzianischen Buch von „Mitte und Maß“ von Zhōng Yōng mit der Frage nach einem glücklichen und ausbalancierten Leben auseinandersetzt, schafft es universelle Themen auf persönliche Weise zu verhandeln. Die Frage nach der Bedeutung des (Tanz-) Rituals in unserer modernen durchrationalisierten Welt, sowie die Beschäftigung mit den eigenen Vorfahren schwingt dabei immerzu mit.

Hoyoung Ims Tanz ist organisch, intuitiv, fließend, animalisch. Er kriecht, er schlängelt, er rollt. Das Vorbild des edlen Tigers klingt immer an. Trommel-Klänge, treibende Beats, schamanenhafte Stimmen, metallenes Klirren tragen den Abend musikalisch und transportieren in vergangene Zeiten. Der Einsatz von Licht- und Schattenspiel an den Wänden verbreitet dabei eine mystische, spirituelle Atmosphäre. Außerdem sieht man auf eine Leinwand projizierte Videoaufnahmen von flackernden Händen und von zu- und auseinander gleitendenden Schulterblättern - man assoziiert Feuerszenen, Berglandschaften.

Gegen Ende des Stückes wird der Tanz immer „menschlicher“, das Publikum bekommt zunehmend zeichenhafte Bewegungen, Richtungswechsel, Unterbrechungen und Gesten zu sehen. Das Schicksal des Menschen, der zwischen Rationalität und Emotion vermitteln muss, klingt durch.

Das Publikum erlebt eine Art Transformation mit – und so steht Hoyoung Im auf einmal in Anzug und Krawatte da und baut einen kleinen Altar vor sich auf. Klangschale, Räucherstäbchen und Reiskörner werden sorgfältig und fein-säuberlich auf einem weißen Tuch drapiert. Das Räucherstäbchen wird angezündet, erreicht trotz Corona-Masken schnell die Nasen der Zuschauer*innen. Und so trivial die Symbolik des Räucherstäbchens auch sein mag, plötzlich stellen sich Fragen wie: Sind wir gerade Teil eines Rituals? Wann kann man wieder bedenkenlos „um das Feuer tanzen“? Und was macht Gemeinschaft aus, wenn wir nicht zusammenkommen können?

Das Beste kommt zum Schluss! Hoyoung Im tanzt zusammen mit einer Vielzahl seiner selbst. Vorproduzierte Filmaufnahmen werden übereinandergelegt und man sieht den Tänzer mit seinen vergangenen Ichs tanzen. Im Einklang tanzen alle eine energetische, kraftvolle, sich ausagierende Choreografie. Euphorie!

Tanz als Rückbezug zu Vergangenem. Der Körper als kultureller Träger von Emotion und Speicher von Erinnerung manifestiert sich - die Wiederholung als Basis für ein Ritual wird eindrucksvoll demonstriert. Der nur 50 Minuten lange Abend wagt sich an große Themen, hat Mut zur Lücke und schafft es in kurzer Zeit sowohl gegenwartsbezogenen als auch historischen Themen Perspektive zu verleihen.

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