Sharon Eyal "Promise": Ensemble

"Promise" von Sharon Eyal. Tanz: Ensemble

Ran an die Herzen

„Promise“ von Sharon Eyal bei tanzmainz uraufgeführt

Nach dem Riesenerfolg von "Soul Chain" gelingt der israelischen Choreografin bei tanzmainz mit diesem atemlosen Tanzabend wieder ein großer Wurf. Ihre Uraufführung ist eine emotions- und spannungsgeladene Gruppenchoreografie.

Mainz, 30/11/2021
Das Moskauer Bolschoi-Ballett gilt immer noch als ein Ballett-Mekka klassischer Prägung. Dorthin werden in der Regel nur Kompanien eingeladen, die mit diesem Anspruch mithalten können – und den 2500 Plätze füllenden Saal mit Leben füllen. In diese Kategorie fällt die Tanzsparte der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt auf den ersten Blick nicht unbedingt. Trotzdem: Kein Problem für die siebzehn Tänzer*innen von tanzmainz, die mit ihrem bislang allergrößten Erfolgsschlager im letzten Herbst erst einmal auf Tournee quer durch renommierte Theaterhäuser in ganz Europa gingen. „Soul Chain“ von Sharon Eyal wurde nicht nur mit dem Faustpreis 2018 ausgezeichnet und zur Tanzplattform 2020 eingeladen, sondern hat inzwischen regelrechten Kultstatus erworben.

Der Mainzer Tanzchef Honne Dohrmann hat schon vielfach ein glückliches Händchen bei der Einladung von Choreograf*innen unter Beweis gestellt, aber die Arbeit mit Sharon Eyal – noch bevor sie zum Must-Have des europäischen Festival-Betriebs wurde – war wohl sein größter Glücksgriff. Die Pandemie hat es möglich gemacht, dass die israelische Star-Choreografin (mit Wurzeln in der Batsheva Dance Company) zum dritten Mal ein Stück mit Mainzer Tänzer*innen erarbeitet hat, mitten in der Corona-Ausnahmesitutation und nicht zufällig mit dem programmatischen Titel „Promise“.

Eyal gehört zur handverlesenen Schar jener Tanzschöpfenden, deren ästhetische Handschrift man auf den ersten Bühnen-Blick erkennt. Für „Promise“, wie „Soul Chain“ ein 50-Minuten-Stück, hat die Choreografin ihr ästhetisches Handwerkszeug noch einmal verdichtet. Wieder arbeitete sie mit ihrem Partner Gai Behar zusammen, wieder zeichnete Komponist und DJ Ori Lichtik für den Techno-Soundtrack verantwortlich, der die die Aufführung nicht nur rhythmisch, sondern auch emotional steuert. Wieder sind die Mainzer Tänzer*innen – in diesem Fall nur sieben – wie avantgardistische Aliens gestylt, in diesem Fall mit bläulichen Unisex-Trikots und wadenlangen Strümpfen. Die lenken den Blick auf den unbarmherzigen Bodenkontakt, den Sharon Eyal ihren Protagonist*innen abverlangt: nicht nur auf halber, sondern sozusagen auf Dreiviertelspitze, so hoch es eben nur möglich ist, mit entsprechender Hochspannung im Körper.

Und dann geht es durchweg von einem Fuß auf den anderen, aber in welchem Tempo! „Promise“ beginnt unisono mit artifiziellem Schulterzucken, bevor sich die glorreichen Bühnen-Sieben zu einer komplexen, organischen Einheit verbinden, die an diesem atemlosen Tanzabend bis zur letzten Sekunde allen Schwierigkeiten trotzt: nicht nur Schwer- und Fliehkraft, sondern auch der inneren Entfremdung und der Einsamkeit.

Sharon Eyal spart nicht mit emotionsgeladenen Bildern: Über einen langen Zeitraum behalten die Tänzer*innen eine Hand auf dem Herzen, und das öffentlich leicht überstrapazierte Herzsymbol zwischen Daumen und Zeigefingern lässt sie gleich zwischen sechs Armen bilden. Vor möglichen Kitschverdacht schützt dabei die Kreation einer geradezu atemlosen Spannung für die Bilder, die innerhalb dieses Herzens sichtbar werden.

Als ein einzelner Tänzer dann doch aus der Gemeinschaft herausfällt, wird das Titelversprechen mit größter Intensität eingelöst: Keiner muss allein bleiben, jeder wird aufgefangen. Ungewohnt sanft lässt Sharon Eyal nicht nur ab und an Ballettfiguren aufblitzen, sondern hat auch einen Gesellschaftstanz mit absolut gleichberechtigten Partner*innen kreiert. Das Zentrum der Choreografie bleibt dennoch die Gruppe, die alle Krisen mit kreativen Bewegungsfindungen meistert und jedem Einzelnen Raum und Rahmen bietet.

In den sinkenden Vorhang ertönte bei der Premiere ein erlösender Schrei – ob noch von der Bühne oder schon aus dem Publikum, war im Beifallssturm nicht mehr auszumachen.
Standing Ovations, was sonst …

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