"A Divine Comedy"

"A Divine Comedy" von Florentina Holzinger

Spektakuläre Stilübungen im Sterben

Florentina Holzingers "A Divine Comedy" im Tanzquartier Wien zwischen Lusterlebnis, Höllenfahrt und Todesvisionen

Die Wienerin Florentina Holzinger hat sich in Europa und darüber hinaus längst zu einem Publikumsmagneten profiliert, die in ihren Shows stets das zusammenbringt, was scheinbar nicht zusammen gehört. Und langweilig ist das nie.

Wien, 25/10/2021
Von Johanna Hörmann

Holzinger zieht wieder alle Register des Spektakulären auf ihrer zweistündigen Jenseitsreise. Ganz wie jene Skelette, die alle Akteurinnen auf dem Rücken tragen, ist auch Dantes „Commedia“ hier Grundgerüst und Werkzeug – das mit Fleisch und Körpern angereichert wird.

Holzinger erforscht mir ihrem Ensemble aus Performerinnen, wie kanonisierte Werke „großer Meister“ (aka männliche Schöpfer) im zeitgenössischen Tanz neu verhandelt werden können. In „A Divine Comedy“ widmet sich Florentina Holzinger nun erstmals einem Stück „Weltliteratur“ ohne große Berührungsängste. Mit dieser Herangehensweise beweist sie erneut die Dehnbarkeit und Flexibilität von (zeitgenössischem) Tanz aber auch von Theater. Es handelt sich bei dieser Auftragsarbeit für die Ruhrtriennale im großen Jubiläumsjahr vor allem um eine performative Aneignung. Ausgehend von der Figur Dante formuliert Holzinger mit alten und neuen Mitperformerinnen die Grundbedingungen, Visionen und Höllenqualen von Künstlerinnen-Existenzen auf amüsante und selbstironische Weise.

Schon in der Eingangsszene wird das Leitmotiv des Abends angedeutet: Wie wird der eigene Tod imaginiert, wie wird das Jenseits für das Publikum physisch erfahrbar gemacht? Die Hypnotiseurin Miranda van Kuilenburg versetzt sechs „Reisende“ (zuvor für die Show gecastet) live in Tiefschlaf – „you can’t and won’t wake up“. Eine davon ist die Performerin Annina Machaz, die als hypnotisierter, etwas verwirrter Dante in der Gegenwart erwacht und in gewohnter Slapstick-Manier das Höllentor gleichermaßen als Portal und stilles Örtchen nutzt.

An diesem Abend werden große Themen auf die Bühne gebracht: Tod, Transzendenz, Begehren, Alter, Leistungsdruck – eine Tänzerin stirbt immer zweimal im Leben; einmal am Ende ihrer Tanzkarriere um die Dreißig und einmal am Ende des tatsächlichen Lebens, resümiert die 80-jährige Ex-Ballerina Beatrix Cordua und erinnert sich dabei an ihren Bühnentod in John Neumeiers „Le Sacre du Printemps“. Viele Referenzen und Reminiszenzen aus dem eigenen Oeuvre werden ineinander szenisch verwoben. Eine der grundlegenden Überlegungen des Abends, die als Diskurs weit über die künstlerische Arbeit hinausgehen: Wie stehen die Tanz-Generationen mit unterschiedlichen Körpern und ästhetisch auferlegten Paradigmen zueinander? Welches Wissen können sie einander als Komplizinnen weitergeben? „Do you think a dancer is an artist or a body that should listen?“, fragt die ehemalige Jan Fabre Tänzerin Renée Copraij ihre Kollegin Cordua. Bedeutende Ereignisse der Tanzhistorie werden mit realen Biografien durch ganz persönliche Erfahrungen tradiert und neu vergegenwärtigt.

Nach der künstlerischen Aneignung von Balanchine’s „Apollon“ und Taglioni‘s „Sylphiden“ zerhackt Holzinger mit ihrem Ensemble auch hier nicht das Original. Sie ist selbst Rezipientin, die sich die Vorlage als Material zeitgemäß modelliert, aneignet und dann in ihre eigene choreografische Formensprache und Organisationsform überführt. Dantes Jenseitsreise verteilt sich bekanntlich auf Hölle (Inferno), Läuterungsberg (Purgatorio) und Himmel (Paradiso), die hier als dramaturgische Orientierungspunkte dienen, um räumliche Wege und einzelne Szenen lose zu strukturieren, oder Bezüge und Intertextualitäten herzustellen.

Wie das aussieht? In dieser szenischen Version begegnen emporragende Treppenberge, von denen sich Performerinnen in die Tiefe stürzen, tanzende Dixi-Klos und XXL-Skelette, ein athletischer Hürdenlauf, das Präparieren toter Tiere, eine waghalsige Motorcross-Bühnenfahrt, ein Haufen Scheiße als künstlerische „contribution“, abgezapftes Blut für die zu weiße Leinwand und der sich schließlich aus der weiblichen Lust ergießende Ozean („Squirting“-Szene) geraten hier zu einem vielschichtigen Referenzsystem inklusive Materialschlacht.

Der aneignende und parodistische Zugriff Holzingers auf kanonisierte „Klassiker“ ist ein spannender Ansatz und wirft nicht zuletzt die Frage nach neuen Wirkungskonzepten auf. Wer hier eine das Epos tragenden Dramaturgie erwartet, verirrt sich nur im Wald voller Holz-hackender Performerinnen. Überhaupt steht hier, wie in Dantes Weltbild, vieles Kopf: Autos und Performerinnen baumeln vom Schnürboden, ein Klavierflügel wird inklusive Spielerin der Gravitation enthoben und schwebt in der Luft. Das fingierte Spiel zwischen „fake“ und „real“ ist sicherlich Holzinger‘s Königsdisziplin.

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