Amerikanische Tanzgeschichte in sprühender Gestaltung

„Dance Theatre of Harlem“ mit vier historischen Balletten bei Arthaus

Es ist ein Streifzug durch die jüngere US-amerikanische Tanzhistorie, den Arthaus als Neuauflage im Rahmen von „Elegance The Art of“ bietet.

Halle (Saale), 20/04/2017

Es ist ein Streifzug durch die jüngere US-amerikanische Tanzhistorie, den Arthaus als Neuauflage im Rahmen von „Elegance The Art of“ bietet. Rund 35 Jahre Entwicklung umgreift „Dance Theatre of Harlem“ in einer Aufzeichnung von 1989, entstanden zum 25-jährigen Bestehen im Auftrag des dänischen Fernsehens. Arthur Mitchell war damals Leiter dieser Kompanie ausschließlich für farbige Tänzer und führte sie rasch zu Weltgeltung. Vier Maßstäbe setzende Kurzballette enthält die DVD, zuvor erzählt der smarte Mitchell kurz den Gründungsmythos des Ensembles. Denn mythisch mutet seine Geschichte in der Tat an.

Initialzündung war für Mitchell die Ermordung von Martin Luther King: Sie bewog den Starsolisten des New York City Ballet 1969 zu seinem folgenreichen, zunächst von ihm selbst finanzierten Schritt. Aus einer Garage zog die Gruppe in eine Kirche, ehe sie 1971 ein Studio fand. Was wie Wahnsinn schien, bewährte sich, so berichtet er mit sichtlichem Stolz, rundum: Über 400 Kinder lernten bald in der angeschlossenen Schule. Farbigen eine Perspektive aufzeigen, sie an Verantwortung heranführen nennt Mitchell seine Motivation: Learning as pleasure. Die Kompanie, heute von Viginia Johnson geleitet und reduziert auf 14 Mitglieder, zählte damals 57 vor Temperament und Begeisterung sprühende Tänzer. In zwei Werken von 1948 war besonders auch ihr darstellerisches Vermögen gefragt.

Beide, „Fall River Legend“ von Agnes De Mille und „The Beloved“ von Lester Horton, basieren auf realen Begebenheiten. In Fall River hatte sich 1892 ein von der Stiefmutter gequältes Mädchen zum Mord an ihr und dem passiven Vater hinreißen lassen. Horton hingegen gestaltet ein Othello-Motiv: Aus Eifersucht hatte ein Geistlicher seine Frau mit der Bibel erschlagen, was der Choreograf, noch näher an Shakespeare, in Erwürgen umdeutet. Dauert De Milles Opus eine knappe Stunde, so komprimiert Horton das Geschehen auf acht Minuten. Äußerst intensiv sind beide Choreografien, wiewohl „Fall River Legend“ mit Spitzentanz, Vision, Rückblende, berstender Dramatik und stehenden Bildern à la Edward Hopper arbeitet, Horton näher am Modern Dance bleibt und auch dem Eiskunstlauf ähnliche Schleudern einsetzt. Als historische Reminiszenzen haben beide Werke ihren Platz im amerikanischen Tanzkosmos.

Zwischen diese düster eindringlichen Kreationen fügt sich als Stimmungsaufheller Robert Norths weltweiter Dauerbrenner „Troy Game“ von 1974. Zwölf Männer treffen sich hier zu gymnastisch kampfsportlichen Ertüchtigungsritualen vor griechischen Säulenstümpfen und würzen mit einer tüchtigen Prise Schalk durch. Bis heute ein athletischer Spaß und ein komödiantisches Vergnügen mit einer bestens durchtrainierten Crew.

Der Kehraus dieser DVD stammt von Mitchell selbst. Ob seiner Choreografie wirklich ein wahres Geschehen zugrunde liegt oder ob sie nur eine Legende kolportiert, weiß auch er in seiner Werkeinführung nicht zu entscheiden. Jedenfalls spielt „John Henry“ im körperlich schweren Milieu der Hammer schwingenden Schienenleger und ist mit Live-Gesang zwischen Country und Gospel zu Banjoklang unterlegt. Alles könnte gut sein, denn John hat eine hübsche Freundin, tobt sich mit ihr und Kumpeln im Tanz aus. Dann wird er von einer Maschine provoziert, die vorgibt, effektiver arbeiten zu können. John lässt sich voller Ehrgeiz auf einen Wettstreit ein, die Maschine ist hier symbolhaft ein anderer Mann. John gewinnt, aber daheim stirbt er wohl vor Erschöpfung und wird so zum Monument hoch auf überkreuzten Schienen. Die Fröhlichkeit geht zu seinem Angedenken weiter. Ein zutiefst nationales Thema in nationaler Umsetzung, mit klassisch-folkloristischem Gestus und großen Volksszenen, die Männer in knappen Jeans, die Frauen in bunten Petticoat-Kleidchen und Pumps. Kraft und Energie der virtuosen, temporeichen Choreografie überzeugen noch immer.

„Dance Theatre of Harlem“, Porträt in vier Choreografien, Danmarks Radio 1989, Arthaus Musik 2017, 120 Minuten

 

 

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