„TEZAT“ von Canan Erek

„TEZAT“ von Canan Erek

Getanzte Paradoxien

Canan Ereks Tanz-Solo „TEZAT“ in den Uferstudios Berlin

Ankara, Essen, Leipzig und Berlin sind Stationen der Tänzerin und Choreografin Canan Erek, die sich in ihrem neuen zweiteiligen Tanz-Solo-Projekt „TEZAT“ (alttürkisch: Widerspruch) mit der Gegensätzlichkeit im Fühlen und Denken auseinandersetzt...

Berlin, 28/01/2013

Ankara, Essen, Leipzig und Berlin sind Stationen der Tänzerin und Choreografin Canan Erek, die sich in ihrem neuen zweiteiligen Tanz-Solo-Projekt „TEZAT“ (alttürkisch: Widerspruch) mit der Gegensätzlichkeit im Fühlen und Denken auseinandersetzt. Aus der Draufsicht von 2 m Höhe verfolgen die Zuschauer im großen Studio 1 jede Bewegungsnuance einer barfüßigen Frau mit geflochtenem Zopf im Pastellkleid. In langer Rückenansicht schiebt sich Canan Erek ruckartig aus der Mittelachse, ihr linkes Bein wagt einem Uhrzeiger gleich die Erkundung des nahen Raumes. Später wirft sie ein dickes Knäul an langer Schnur diagonal in den Raum. Musik setzt ein. Im synkopierten Rhythmus des Vor- und Zurücklaufens entwickelt sich ein erster Dialog. Dann liegt sie auf dem Rücken, verstärkt die eigenen Herztöne, in die sich Wellenbrecher mischen. Sie nimmt das Schicksalsknäul, geht, rennt, dreht sich wie eine Hammerwerferin. Wer genau hinsieht, erkennt in den Wechseln der Hand, dass sie aktiv und passiv zugleich agiert.

Dieses 2011 entwickelte Solo über persönliche Ambivalenzen und die Suche nach Harmonie hat die Performerin um einen halbstündigen neuen Teil erweitert, der von den gesellschaftskritischen Schriften des (seit 2012 in Berlin lehrenden) Philosophen Byung-Chul Han inspiriert ist. Dass Hans hochinteressante Analysen des Individuums in der neoliberalen kapitalistischen Gesellschaft ein Tanzsolo grundieren können, ist meinerseits zugleich eine Empfehlung wert, „Müdigkeitsgesellschaft“ (2010), „Transparenzgesellschaft“ und „Agonie des Eros“ (beide 2012) im Original zu lesen.

Überraschend erscheint Canan Erek im toughen Dresscode: schwarzer Hosenanzug, weiße Bluse, offene Haaren, knallrote Lippen. Sie parliert mit den Zuschauern, dialogisiert, posiert mit dem Navigationsgerät. Total verplanter Alltag. Sie quasselt die immer gleichen Mantras. Hetzt verbal und räumlich von Projekt zu Projekt, wird getrieben und treibt andere gnadenlos durchs iPhone an. Dabei wünschte ich mir noch mehr Mut zu körperlicher Expressivität sowie gestischer und stimmlicher Prägnanz. Die Mega-Anforderungen an eine 24 Stunden verfügbare Geschäfts-Frau und Mutter vom Poweryoga am Morgen bis zum Übersee-Skypen nach Mitternacht überlagern sich im Crescendo der Soundcollage. Leistungsdruck, der krank macht, Identität auslöscht. Canan Ereks Körper erschlafft. Herzflimmern mischt sich in das neurotische Zucken der Arme am Jackett. Zurück an den räumlichen Ausgangspunkt ihrer Erkundungen trifft sie auf das Knäul. Meditative Zäsur als finale Selbstreflexion: Canan Erek rollt den Faden ab, die Füße tasten an der Wand entlang, sie steht, die Schnur fällt von ihrem Körper. Vorwärts zum Publikum gehend knotet sie den Faden, bis nichts bleibt als das erschöpfte depressive Leistungssubjekt ohne Gesicht. Ein verlorenes Ich mit einem verknoteten Gehirn ein den Händen.

Wieder am: 29. und 30. Januar, 19.30 Uhr Uferstudio 1
 

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