Bekanntgabe der Juryentscheidung TANZFONDS ERBE

Der von der Kulturstiftung des Bundes initiierte Fonds vergibt in der ersten Bewerbungsrunde rund 830.000 € für zehn Projekte.

Berlin, 23/03/2012

Der TANZFONDS ERBE fördert künstlerische Projekte, die sich verschiedenen choreografischen Positionen des 20. Jahrhunderts widmen. Denn die Geschichte des Tanzes steht in Deutschland nur selten im Rampenlicht – obwohl der Weltruf zahlreicher Künstlerpersönlichkeiten hier seinen Ausgang nahm. „Bedeutende Schlüsselwerke im Tanz werden selten aufgeführt, weil die Kapazitäten der Tanzcompagnien dafür oft nicht ausreichen,“ erklärt Madeline Ritter, Projektleiterin des Tanzfonds. Zusätzlich erschweren ungeklärte Urheberrechtsfragen den Zugang zu Choreografien. Um diese Barrieren abzubauen, wurde der Förderfonds 2011 von der Kulturstiftung des Bundes auf den Weg gebracht.
Die Mitglieder der TANZFONDS ERBE Jury – Rose Breuss, Bettina Masuch, Martin Puttke, Dr. Christiane Theobald, Prof. Dr. Christina Thurner – haben am 22. März 2012 über die Anträge entschieden. Die Qualität des künstlerischen Umgangs mit dem Tanzerbe war für die Entscheidung der Jury ausschlaggebend. „Die Projekte zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine künstlerische Herangehensweise mit einer fundierten wissenschaftlichen Aufarbeitung des Erbes verbinden,“ so die Jury. „Gefördert wurden originelle Formate, die auf das Publikum zugehen und so das Erbe über die Tanzszene hinaus bekanntmachen.“ Die Projekte setzen sich unter anderem mit bedeutenden Choreografien wie Kurt Jooss' „Der Grüne Tisch“ oder den Bewegungschören Rudolf von Labans auseinander. Der Projektträger DIEHL+RITTER gUG wird die Vorhaben mit einem eigenen Dokumentationsteam filmisch begleiten und die beteiligten Projekte zu Fragen des Urheberrechts beraten. Bewerbungen für die zweite Antragsrunde sind ab sofort möglich. Die Bewerbungsfrist endet am 1. November 2012.
Folgende Projekte wurden bewilligt: Folgende Projekte wurden bewilligt: Antragsteller Projekttitel Betrag Avista Film (München) Poeten des Tanzes – Die Sacharoffs 99.900 € Bühnen und Orchester der Stadt Bielefeld, Tanztheater von Reinhild Hoffmann 29.162 € K3 - Zentrum für Choreographie I Tanzplan Hamburg / Kampnagel, volkstanzen heute (AT) 99.040 € Produktionszentrum Tanz + Performance (Stuttgart) TANZLOKAL / TANZFEST – Reflexionen und zeitgenössische Positionen zur Tanzgeschichte ab 1920 im Südwesten (AT) 100.000 € JOINT ADVENTURES – Walter Heun (München) „Auf den Spuren des grünen Tisches (Modul 2)“ (AT) 88.558 € Paula Rosolen (Frankfurt) Piano Men – Ein Choreographisches Konzert für 2 Pianisten 42.289 € Jochen Roller (Berlin) The Source Code 99.965 € Stiftung Bauhaus Dessau Bauhaus tanzen 70.000 € Ligna (Berlin) Tanz aller 98.260 € Antje Pfundtner (Hamburg) STOFF (AT) 99.000 € KURZBESCHREIBUNGEN DER GEFÖRDERTEN PROJEKTE Avista Film: Poeten des Tanzes – Die Sacharoffs Der Dokumentarfilm „Poeten des Tanzes“ von Stella Tinbergen handelt vom Schaffen der Ausdruckstänzer Alexander und Clotilde Sacharoff. Rekonstruktionen der Sacharoffschen Tanzkunst sollen in Zusammenarbeit mit Studierenden der Hochschule für Musik und Darstellende Künste Frankfurt unter Leitung von Claudia Jeschke in den Film Eingang finden. Wichtige Zeitzeugen werden interviewt und mit den Rekonstruktionen des Stückes konfrontiert. Neben bereits bekannten Materialien wie Fotos, Kostüme, Notationen und Filmaufnahmen wird auch bisher unveröffentlichtes Material, z.B. die Tagebücher der Sacharoffs, für den Film ausgewertet. Der Film wird öffentlich aufgeführt und als DVD erscheinen. Bühnen und Orchester der Stadt Bielefeld: Tanztheater von Reinhild Hoffmann Das Theater Bielefeld wird die Arbeit „Auch“ der Choreografin Reinhild Hoffmann aus dem Jahr 1980 wiederaufführen. Sie wird an einem dreiteiligen Tanzabend zum Thema „Deutsches Tanztheater der ersten Generation“ gemeinsam mit Werken der Tanzkünstlerinnen Susanne Linke und Henrietta Horn gezeigt. Hoffmanns Duett wird von zwei Frauen getanzt, die vollkommen gleichberechtigt interagieren. Duo-Choreografien wurden in der Tanztheaterbewegung häufig vernachlässigt, deswegen bekommt das Publikum nun die seltene Möglichkeit, diese Tradition auf der Bühne zu erleben. K3 – Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg auf Kampnagel: volkstanzen heute (AT) Das gemeinsame Projekt von K3 - Zentrum für Choreographie und dem Tanzarchiv Leipzig fragt nach dem Verhältnis zwischen europäischen Volkstänzen und der Bühnentanzpraxis des 20. Jahrhunderts. Vier Choreografinnen (Isabel Schad, Jenny Beyer, Doris Uhlich, Theresa Jacobs) werden mit der künstlerischen Recherche und Umsetzung von Tanzproduktionen beauftragt. Dabei werden sowohl historische Einflüsse des Volkstanzes auf den Ausdruckstanz der 1910er und 1920er untersucht als auch Gemeinsamkeiten zwischen Volkstanz und zeitgenössischen Gruppentänzen wie Hip-Hop. Die Choreografinnen werden auf Grundlage ihrer Recherchen mit tanzinteressierten Laiengruppen zeitgenössische Volkstanzchoreografien erarbeiten.
Produktionszentrum Tanz + Performance: TANZLOKAL / TANZFEST – Reflexionen und zeitgenössische Positionen zur Tanzgeschichte ab 1920 im Südwesten (AT) Baden-Württemberg war in den 1920er und 1950er Jahren kreativer Schauplatz des Tanzes. Heute ist das damalige Wirken von Pionieren wie Laban, Jooss, Wigman und Schlemmer bei den Bürgerinnen und Bürgern des Landes in Vergessenheit geraten. Das dreitägige Festival TANZLOKAL / TANZFEST, ausgerichtet vom Produktionszentrum Tanz + Performance, will an die Tradition vor Ort erinnern, sie aber auch reflektieren und weiterentwickeln. Fünf jüngere Choreographinnen werden in Stuttgart jeweils Stücke zu Laban, Jooss, Wigman und Schlemmer kreieren und im Rahmen des Festivals zur Aufführung bringen. Partizipative Formate, z.B. ein zeitgenössischer Bewegungschor, ein performativer Walk und Ausdruckstanzkaraoke, beziehen das Publikum mit ein. JOINT ADVENTURES – Walter Heun: Auf den Spuren des Grünen Tischs (Modul 2) (AT) Die Tanzkünstlerin Olga de Soto bearbeitet seit einigen Jahren das Werk „Der Grüne Tisch“ von Kurt Jooss, eines der Schlüsselwerke der Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts. Die zweite Phase dieses Projektes unter dem Titel „Auf den Spuren des grünen Tischs“ wird nun von TANZFONDS ERBE gefördert. Eine neue Choreografie von de Soto entsteht, in der die Vererbungs- und Rezeptionsgeschichte des Stückes aufgearbeitet wird. Sie wird in München im Rahmen der TANZWERKSTATT EUROPA 2012 uraufgeführt und tourt danach durch Europa. Paula Rosolen: Piano Men – Ein Choreographisches Konzert für 2 Pianisten Paula Rosolen beschäftigt sich mit denjenigen, die im Tanz nicht im Rampenlicht stehen: den Pianisten, die Tanzproben begleiten. Als teilnehmende Beobachter sind sie lebendige Archive des Tanzes. Fester Protagonist des Projekts ist David Morrow, der seit 20 Jahren für die William Forsythe Compagnie in Frankfurt arbeitete. Zusätzlich werden weitere Pianisten befragt. Die Interviews werden mit verschiedenen Medien aufgezeichnet: visuell, akustisch und in Schriftform. Rosolen bedient sich der Methode der Oral History, um eine neue Art des dokumentarischen Tanztheaters zu entwickeln. Auf der Bühne werden keine Tänzer im üblichen Sinne auftreten, der Tanz soll vor dem inneren Auge der Zuschauer entstehen. Ein Film über die Piano Men wird das Projekt dokumentieren. Jochen Roller: The Source Code Das Projekt „The Source Code“ von Jochen Roller ist ein Online-Projekt, das sich der nach Australien emigrierten Wiener Choreografin Gertrud Bodenwieser widmet. Ihre letzte Choreografie aus dem Jahr 1954 „Errand into the Maze“ wird dafür rekonstruiert. Diese Rekonstruktion wird als Film im Internet veröffentlicht. Der Film zeigt nicht nur die Rekonstruktion, er dient auch als strukturierende Oberfläche, die das Leben und Schaffen Bodenwiesers offenbart. Auf der Videooberfläche integrierte grafische Marker verweisen auf Materialien zu ihrem Erbe: Fotos, Briefe, Skizzen und Tagebucheinträge, Interviews mit Zeitzeugen. Auf einer zweiten Ebene wird die Arbeit des Rekonstruktionsteams sichtbar: Welche historischen Materialien wurden wie ausgewertet und erhielten Einzug in die tatsächliche Rekonstruktion? Welche wurden nicht berücksichtig? Durch Probenmitschnitte, Interviews und kommentierende Texte wird der Rekonstruktionsprozess sichtbar.
Stiftung Bauhaus Dessau: Bauhaus tanzen Im Jahr 2014 laufen die Urheberrechte für Oskar Schlemmers 1926-1929 entwickelten Bauhaustänze ab. Die Stiftung Bauhaus Dessau möchte die Stücke unter Leitung von Ingo Reulecke rekonstruieren und reinterpretieren. Das Projekt findet als zweijähriges choreografisches und tanzgeschichtliches Weiterbildungsprogramm für acht Tänzer aus Dessau und Berlin statt. Die Bauhaustänze sollen in dem Kontext aktualisiert werden, in dem sie historisch entstanden sind: als produktorientierte Werkstattschule. Denn der Tanz wird in Bauhaustradition als verbindendes Medium von Bildender Kunst, Musik und Architektur verstanden. Die Premiere der rekonstruierten bzw. neuinterpretierten Bauhaustänze findet im Frühjahr 2014 statt, die Stücke werden Teil des Repertoires des Anhaltischen Theaters. Die im Projekt aktualisierte Methodik fließt in das Lehrprogramm des HZT ein. Ligna: Tanz aller Das Projekt „Tanz aller“ begibt sich auf die Spuren von Rudolf von Labans Bewegungschöre. Es versteht diese vor allem als Interventionen im Stadtraum. Mit dem von der Künstlergruppe Ligna erdachten Konzept des Radioballetts werden die bei umfangreichen Recherchen zusammengetragenen Funde zu einem Hörspiel verdichtet. Im öffentlichen Raum werden unter Beteiligung von Laien, die über Kopfhörer im Hörspiel integrierte Anweisungen erhalten, von Ligna interpretierte „Bewegungschöre“ aufgeführt. Das Projekt soll in neun Städten, in denen Labans historische Bewegungschöre stattfanden, durchgeführt werden. Dabei wird das Stück leicht abgeändert auf die spezifische Geschichte des Bewegungschores in der jeweiligen Stadt eingehen.
Antje Pfundtner: STOFF (AT) In „STOFF“ beschäftigt sich die Choreografin Antje Pfundtner mit dem wohl bekanntesten Ballett des 20. Jahrhunderts: „Der Nussknacker“. Aufgrund seiner internationalen Popularität ranken sich unterschiedlichste Entstehungsgeschichten, Quellen und Interpretationen um das Stück. Mittels historischer Quellenauswertung sowie Experten und Zeitzeugengesprächen möchte Pfundtner sich der Geschichte und Bedeutung des Nussknackers nähern. Am Ende des Prozesses steht eine eigene Choreografie Pfundtners, die auf Kampnagel in Hamburg inszeniert wird.

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