"Shallow Waters" von Sebastian Zuber

"Wir sind bereits im Wohnzimmer des Teufels"

Was wird aus uns, wenn das Wasser knapp wird?

Ein Interview mit Sebastian Zuber über seine neue Produktion „Shallow Waters“, über Proben im Sand und über die selbstzerstörerische Natur des Menschen

Sebastian Zuber arbeitet als Tänzer und Choreograf für Tanz- und Opernproduktionen und als Tanzproduzent an unterschiedlichen Theatern und Institutionen. In einem außergewöhnlichen Tanzprojekt setzt er seine Tänzer*innen Sand, Hitze und Wasserknappheit aus, um ihnen eins der dringlichsten Themen der Menschheit in ihre Körper einzuschreiben. tanznetz interviewt Zuber zu seinen Ideen und Arbeitsmethoden für „Shallow Waters“. 

 

Was wird aus uns, wenn das Wasser knapp wird? Mit dieser Frage setzen Sie sich in Ihrem knapp einstündigen Tanztheaterstück Shallow Waters” auseinander, das letztes Jahr im September in Basel Premiere feierte. Shallow Waters“ zeichnet ein Zukunftsszenario der Wasserknappheit in Europa und erzählt die Geschichte einer Gruppe von Menschen, die sich den herausfordernden Umständen einer Wasserkatastrophe stellen muss, die aus dem Klimawandel resultiert. Als Inspiration für das Stück haben Sie das Buch Die Geschichte des Wassers” von Maja Lunde gewählt, was interessiert Sie im Besonderen an dieser Geschichte?

Das dabei zugrunde liegende Szenario setzt die sonst privilegierten Europäer in diese katastrophalen Umstände. Natürlich wünsche ich mir nicht, dass es so kommt. Nur befasste ich mich mit dem Gedanken: Wann würden wir reagieren? Müssten wir erst direkt betroffen sein, um radikale Maßnahmen zu ergreifen? Liegt es nicht in unserer Natur, diese Weitsicht zu haben? Und wenn es so wäre, würden wir uns nicht einen Gefallen tun, es zu akzeptieren und aufgrund dessen zu leben? Das heißt, jede und jeder schaut für sich, ohne Rücksicht auf Umfeld, Umwelt und Zukunft und steht dazu, Verantwortung dafür zu übernehmen. Natürlich sind solche Gedanken für Aktivist*innen, die sich einem ideologischen Kampf verschreiben, schrecklich. Ich würde nie jemanden vor den Kopf stoßen wollen, indem ich sage, ihre oder sein ideologischer Kampf sei sinnlos. Der Gedanke, die heuchlerische Haltung aufzugeben, richtet sich an mich und die große Masse, die ständig irgendeinen komischen Balanceakt zwischen Moral und Selbstoptimierung hinlegt. 

 

Statt unsere träge Reaktion auf den Klimawandel zu verurteilen, anerkennt „Shallow Waters” die selbstzerstörerische Natur des Menschen und feuert sie sogar an. Warum? Und wie stellt sich das tänzerisch dar?

Warum? Weil ich unsere heuchlerischen Diskussionen nicht mehr führen möchte. Die Dringlichkeit hinsichtlich zahlreicher Themen, wie zum Beispiel Klimawandel, Gleichstellung der Geschlechter in der Familie oder der globalen Güterverteilung, scheinen offensichtlich, und der öffentliche Diskurs dauert schon Jahrzehnte. Ich sehne mich hierbei nach neuen Ansätzen, outside the box, weil unsere bisherigen Maßnahmen ins Leere laufen.

Zur Frage, wie das tänzerisch umgesetzt wurde: Es war eine intuitive und assoziative Herangehensweise. Wir haben davon abgesehen, explizit zu sein,  haben vielmehr über das Konzept gesprochen und haben dann geschaut, was das mit uns macht. Die Bilder, die wir zeigen, sind durch verschiedene intuitive Recherchen entstanden.

Eine Szene, die einige Gedankenansätze des Konzeptes vereint, ist das Bild, bei dem ein Darsteller eine Darstellerin an den Füßen durch den Sand zieht. Ihre Arme liegen passiv über ihrem Kopf auf dem Boden. Einerseits pflügt der Darsteller, durch das Hin- und Herziehen des passiven Körpers, den fruchtlosen Sandboden. Andererseits transportiert er einen weißen Behälter mit Eselsmilch, ein Bild der Dekadenz, indem er ihn an der passiven Hand der Darstellerin befestigt. Dann fängt die Darstellerin an a cappella das Lied „All Eyes on me” von Bo Burnham zu singen. Diese Kombination verändert das Bild auf eine tolle Weise. Denn was zuerst fast etwas stereotypisch daher kommt, wenn ein Mann eine Frau durch den Sand zieht oder sich der Industrielle der Arbeitskraft der armen Bevölkerung bedient, erhält einen Perspektivenwechsel auf sie. Die schlaffen Arme repräsentieren dann nicht jene eines Opfers, sondern jene einer Person, die sich aktiv entscheidet, nichts zu tun. 

 

You say the ocean's rising like I give a shit

You say the whole world's ending, honey, it already did

You're not gonna slow it, Heaven knows you tried

Got it? Good, now get inside

 

Sie skizzieren den destruktiven Umgang des Menschen mittels der drastischen Konsequenzen des Klimawandels – unserer heutigen Realität. Der Teufel, als Sinnbild eines Verführers, Verwirrers, Faktenverdrehers, Verleumders, der Sie schon als Kind in Träumen beschäftigt hat, ist hierbei ein tragendes Leitmotiv für Ihre Stückentwicklung gewesen. Was fasziniert Sie daran?

Die Figur des Teufels scheint dem Menschen sehr nah zu sein und steht für vieles, was Teil der menschlichen Natur zu sein scheint. Die verschiedenen Glaubenssysteme stellen oft Regeln auf, die vom Menschen nicht wirklich erfüllt werden können. Somit ist er ständig in einem Zustand der Schuld, muss sich vom Teuflischen losreißen oder fernzuhalten versuchen. Ein Beispiel wäre die Monogamie. Oder in den tausenden Ernährungstheorien, die ebenfalls Glaubenssysteme darstellen. Tu das und jenes! Auf keinen Fall Schokolade! Oder nur am Sündentag, dem cheating day. Dann werden wir als Umweltsünder deklariert … Wir können unser Gewissen mit grünen Produkten etwas rein waschen, etwa mit CO2-Abgaben. Der Philosoph Slavoj Zizek ist der Meinung, dass diese Glaubenskonstrukte immer dazu dienen, die Masse zu steuern. Das heißt, wenn der Einfluss der Religion nachlässt, muss ein neues System her, um die Menschen zu kontrollieren. Das Gute und das Böse zu nennen scheint uns wichtig. Vielleicht nennen wir ihn nicht mehr Teufel, doch seine Figur und Funktion ist allgegenwärtig.

 

Die meisten Menschen fürchten ja die Hölle und das Jüngste Gericht nicht mehr, sondern vielleicht eher die Endzeit oder das Zurückschlagen der Natur, oder?

Ich glaube, es ist eine komplette Ohnmacht. Wir wissen nicht mehr was wir glauben sollen. Wir werden ständig mit neuen Krisen bombardiert und hören immer wieder, dass wir in vergangenen Jahren angelogen wurden. Dass man uns manipuliert hat, etwa durch einen angeblichen Engpass bei der Lieferung von Masken während des Corona-Ausbruchs, Nordstream oder mutmaßliche Biowaffen im Irak. Vielleicht sind wir bereits im Wohnzimmer des Teufels. Die Digitalisierung hat versprochen, dass wir Zugang zu allen Informationen haben werden. Doch was ist echt und was nicht?

 

Wie haben sich die vielen konzeptionellen Ideen hinsichtlich Natur und moralischer Verantwortung in Ihrer choreografischen Arbeit konkret niedergeschlagen und welche Herausforderung stellte sich damit den Tänzer*innen?

„Shallow Waters“ hebt weder den Mahnfinger, noch zeigt es die Abgründe unserer Welt auf. Es ist eine Stimmung, es ist ein Gefühl, welches kreiert wird. Man kann es nicht verbalisieren, es ist Tanz, es ist Performance, man erlebt es. Die große Herausforderung für alle war es, nicht in das schon Bestehende abzurutschen. Nicht das Publikum belehren wollen. Auf keinen Fall. Das Schuldgefühl flammt eventuell mal auf, aber es ist nicht die Hauptaussage des Stückes, dass wir wissen was zu tun ist, und ihr sollt jetzt mal nach Hause und euch Gedanken machen, wie ihr die Welt rettet. Statt der Panik vielleicht mehr Gelassenheit.

 

Entstanden ist und geprobt wurde das Stück auf Korsika am Strand. Wie kam es dazu?

Unsere Großmutter lebte über 30 Jahre in diesem Korkeichenwald auf Korsika nahe am Strand. Ich habe da viel Zeit verbracht, und meine Großmutter hat Konzerte und kulturelle Events für die Region organisiert. Als sie sich in die Schweiz zurückgezogen hat, hat ein Verein die Unterhaltung des Waldes übernommen. Ich habe mit meinem Bruder eine Tanzbühne gebaut und habe seit 2016 Workshops für professionelle Tänzer*innen organisiert. Mein Stück „Industrial Seagrass“ habe ich bereits da erarbeitet, da es die perfekte Infrastruktur hat, um kreativ arbeiten zu können. Als klar wurde, dass „Shallow Waters“ in der Langsamfilteranlage filter4, welche über einen 1,5 Meter tiefen Sandboden verfügt, zur Aufführung kommen wird, war klar, dass wir im Sand trainieren und kreieren müssen. Physisch ist das sonst nicht machbar. 50 Minuten im Sand zu performen; ist ein riesiger Kraftakt. Deswegen mussten wir für den Konditionsaufbau und den kreativen Prozess einen Sandboden haben.

 

Was hat Sie in dem ganzen Prozess am meisten begeistert?

Am meisten begeistert hat mich mein Team. Die Tänzer*innen bringen einfach so viel mit. Jede Show ist anders. Es ist einfach fantastisch, zu sehen, was talentierte Künstler*innen abliefern. Anna Friedrich, meine langjährige Regie- und Produktionsassistentin, die mit mir alle Abenteuer bis dahin bestritten hat, hält uns konstant den Rücken frei und unterstützt mich und uns bedingungslos. Mit ihr Ideen zu spinnen und das Beste rauszuholen ist einfach mega. Sie arbeitet zum Teil sogar mehr als ich, und das soll was heißen.

 

Umgeben wart ihr dort von vermutlich schönster Natur. Hat die Verbindung von Tanz und Natur den Blick auf das Thema noch einmal im Besonderen geprägt oder verrückt?

In der Hitze zu arbeiten verstärkt die Abhängigkeit von Wasser noch mehr. Wir müssen manchmal das Wasser von einer natürlichen Quelle abfüllen, zu der wir 30 Minuten fahren müssen. Wenn es Probleme mit der Quelle gibt, wie zum Beispiel, wenn Vieh die Quelle passiert hat, dann sollte man nicht davon trinken. Dann muss man das Wasser kaufen. Und das wird dann schnell teuer in dieser Hitze. Aber der Kreislauf, der sich durch Tanzen und Wasserzufuhr bildet ist von der Symbolik her sehr stark.

 

Wie haben Sie sich vor Ort als Team organisiert?

Das Team hat in Bedouinen-Zelten geschlafen. Es hat eine Dusche und ein Klo. Wir hatten jemanden dabei, der die Einkäufe getätigt und für das ganze Team gekocht hat. Wir haben von 6 bis 9 Uhr und von 18 bis 21 Uhr geprobt, um der Hitze aus dem Weg zu gehen. Es war sehr hart für die Tänzer*innen. Sand und Sonne.

 

Vom Strand ins Theater: Für das Bühnenbild von „Shallow Waters“ haben Sie den Boden in eine riesige Sandfläche verwandelt. Aber nicht nur der Sand, sondern Ihr ganzer Probenprozess sollte nun schlussendlich auf die Tanzbühne. Wie kriegt man das alles zusammen?

Der Sand war bereits am Veranstaltungsort der Uraufführung, im filter 4. Es handelt sich dabei um eine trockengelegte Langsamfilteranlage. Die kommenden Aufführungen werden nicht auf Sandboden geschehen. Wir haben in der Prozessphase bereits die Adaption an die anderen Bühnen mit eingeplant.

Und wo wird „Shallow Waters“ zukünftig zu sehen sein?

Am 27. und 28. Juni im Dschungel in Wien, am 3. Juli zum b12 Festival Berlin in den Edenstudios und am 8. und 9. September im filter4 in Basel.

 

 

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