Imbalanced Parallel sam Ballett Basel. „Mommy, Look!” von Marne und Imre van Opstal

Verletzliche Machos und Griff zu den Sternen

Imbalanced Parallels: Zwei Neukreationen auf der Kleinen Bühne des Theater Basel

Auf der Waagschale des Abends hat „Mommy, Look!” von Marne und Imre van Opstal das größere Gewicht

Basel, 29/01/2023

Für „Imbalanced Parallels”, eine der letzten Premieren unter seiner Ägide, holte Richard Wherlock zwei Choreografenteams ans Theater Basel: die Geschwister Imre und Marne van Opstal sowie Iratxe Ansa und Igor Bacovich. Imre und Marne von Opstal, die seit dem Beenden ihrer Karrieren beim NDT und Batsheva gemeinsam choreografisch tätig sind, sorgen mit dem Auftaktstück „Mommy, Look!” für eine tänzerische Tour de Force.

Schon vor dem eigentlichen Beginn des halbstündigen Stückes bringen sich die fünf Tänzer in Position: Francisco Patricio, Thomas Martino, Aleix Lacara und Matias Rocha Moura weit verteilt an den Seiten der Bühne stehend, Max Zachrisson sitzend auf dem Bühnenrand. Wie ”echte Kerle” mit Türsteher-Kreuz, die ihre ”Hood” observieren. Angetrieben von wummernden Klängen - komponiert von Rotem Frimer und Hen Yanni - finden sich die fünf zusammen für ein beeindruckend choreografiertes Kräftemessen. Bei den exakt synchron ausgeführten, bodennahen Sequenzen zu Beginn bekommt man schon vom Zuschauen blaue Flecken. Die blinkenden Lichtsäulen von Tom Visser akzentuieren den getanzten Stress des Mithaltens und Übertrumpfens. Die Männer stemmen Alles und sich gegenseitig. In diesem Testosteronbad darf der kurze Griff ans Gemächt nicht fehlen. Doch die Choreografie ist alles andere als plump. Denn sie entwickelt raffiniert den versteckten Wunsch nach Loslösung von den Muskelprotz-Spielen, der spürbar wird, wenn kraftvoll stampfende Bewegungen abgelöst werden durch kurze Momente auf halber Spitze.

An dem Punkt, an dem die Musik am lautesten wummert, die Lichtsäulen am hektischsten vielfarbig blinken, die Erschöpfung am größten ist, erfolgt ein Bruch. Musik und Licht werden ruhiger, und hier ergeben nun auch die von beiden Opstals entworfenen Kostüme Sinn (diese erscheinen fast wie eine vage Reminiszenz an Robert North’s vor Jahrzehnten auch ausschließlich für Männer choreografiertes „Troy Game”). Die Männer mit ihren Fetzen von Bekleidung und sichtbaren Blessuren sind durch den Kampf mit ihrem Rollenbild verwundet (und verwundbar). Die Choreografie fordert weiterhin atemberaubend kraftvolle Stärke, wird aber nun behutsamer in den Bewegungen und entwickelt bei den verletzten Machos ein berührendes Herantasten an das Zulassen von Nähe, von Zusammenfinden, an das Anlehnen an Schultern. Frei von der Last des Posings geht dann jeder für sich allein von der Bühne.

„Supernova”, die zweite Neukreation des Abends, beginnt mit einem Griff zu den Sternen. Drei Tänzerinnen stehen in schwarzer Asche, recken sich nach oben zu den vielen kleinen Lämpchen (das gelungene Lichtdesign stammt von Nicolás Fischtel) und pusten funkelnden Sternenstaub um sich. Dann setzt John Adams ”Shaker Loops” ein, und auf dieser musikalischen Grundlage entfaltet sich Iratxe Ansas und Igor Bacovichs Choreografie für insgesamt 14 Tänzer*innen. Nach der kleinen Besetzung von „Mommy, Look!” ist es schön, dass das Programm auch mit einem größeren Ensemblestück aufwartet.

Das Phänomen einer Supernova – laienhaft formuliert das Auseinanderbrechen eines Sterns – inspirierte das mit ihrer Kompanie „Metamorphosis Dance” in Madrid ansässige Choreografen-Team zu diesem neuen Werk, für das beide auch das Bühnenbild geschaffen haben. Wie Imre und Marne van Opstal geht es auch ihnen in «Supernova» um die Darstellung eines Transformationsprozesses, der allerdings trotz der Erklärungen auf dem Programmzettel ein bisschen verrätselt bleibt.

Die in verschiedene Grautöne gekleidete Tänzer*innen (Kostüme: Jorina Weiss) finden sich organisch in Gruppenkonstellationen hinein und lösen sich wieder aus ihnen heraus. Iratxe Ansa und Igor Bakovich haben ein Händchen, diese zu kreieren. Es ist ein starkes Bild, in dem die Gruppe mit gereckten Armen und gespreizten Fingern zusammenschmilzt und dann eine Tänzerin und einen Tänzer aus ihrer Mitte freigibt.

Doch insgesamt kann diese zweite Choreografie mit der pulsierenden Soghaftigkeit ihrer Musik nicht mithalten. Zweifelsohne ist sie durchdacht und sehr ästhetisch, bleibt jedoch eher spannungsarm.

Die wirklich starken Momente bietet das erste Stück dieses auf jeden Fall sehenswerten Abends, der beim Publikum großen Anklang fand.

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