Verrätselte Düsternis

Gloria Höckners „Sentimental Bits“ in der Kampnagelfabrik

Die Residenzchoreografin eröffnet das diesjährige Festival „Tanzhochdrei“ in der Hamburger Kampnagelfabrik. Ein verrätseltes Spektakel des Gruselns.

Hamburg, 25/03/2022

Es ist eine gute Tradition, dass die Residenzchoreograf*innen von K3 Tanzplan Hamburg zum Abschluss ihres Stipendiums eine in dieser Zeit geschaffene Arbeit zeigen – drei Uraufführungen innerhalb von drei Wochen also. Dieses Jahr machte Gloria Höckner mit „Sentimental Bits“ den Anfang.

Die Zuschauer*innen sitzen in der K2 rund um die Bühne, der Raum ist weitgehend abgedunkelt, das Bühnenrund erhellen einige am Boden aufgestellte LED-Strahler. Vier Personen lassen sich ausmachen, die seitlich am Boden verharren, langsam Arme und Beine bewegen, wie in Zeitlupe. Dann schließen sich die Türen, und die vier Tänzerinnen bewegen sich langsam aufeinander zu – kriechend, sich dehnend, verdrehend, schlangenartig sich am Boden verhakend. Zu einer elektronischen Geräuschkulisse von Victoria Keddi legen sie die Köpfe aneinander, schlingen Beine und Arme um die Leiber, trennen sich wieder.
 So geht das das eine ganze Zeit. Dann öffnet sich ein an einem Stahlgestell festgeschnallter Halbkreis-Paravent, der als Projektionsfläche für Filmaufnahmen dient, die mit zwei im Bühnenrund aufgestellten Kameras live aufgenommen werden. Gesichter in Nahaufnahme zeigen sich dort, es wird gesprochen, auf Englisch, die Inhalte sind aber aufgrund der Geräuschkulisse kaum oder gar nicht verständlich. So bleibt es ein Rätsel, was damit eigentlich ausgesagt werden soll.

Rätselhaft auch der weitere Verlauf des etwa 70-minütigen Stückes. Immer wieder robben und schlängeln sich die vier am Boden aufeinander zu und voneinander weg. Sie reißen die Münder auf, erstarren in der Mimik, gehen ab.

Schließlich kommen zwei der vier Performerinnen mit eigenartigen Plastikmasken auf dem Gesicht zurück, sie sehen verfremdet aus und bewegen sich auch so – ein bisschen orientierungslos, suchend, fragend, wiederum gefilmt und auf den Paravent projiziert. Sie „begeben sich in ein Spiel mit Überwachungstechnologien, die ihre Emotionen analysieren und klassifizieren“, heißt es dazu auf dem Programmzettel. Und weiter: „Sie loten aus, was es bedeutet, in den Augen von künstlicher Intelligenz ‚erkannt‘ zu werden. Sie hacken ihre digitalen Zwillinge, transformieren und vervielfältigen ihre physischen Körper. Ihre Blicke kreuzen die Kamera. Gesichter werden zum Instrument. In immersiven Klanglandschaften bringen die Performerinnen sozial konstruierte und in der Technologie fortgeschriebene Kategorien für einen Moment ins Wanken. Sie machen den Bereich dazwischen zu ihrer Welt und entdecken darin die Poetik von Glitches – Störungen im System.“

So richtig nachvollziehbar ist das nicht bei dieser Performance. Die künstliche Intelligenz, das sind die beiden Kameras, die die Gesichter vermessen und zu deuten versuchen, was natürlich nicht wirklich gelingt. Was die virtuelle Welt mit den Menschen macht, wird nicht so richtig deutlich, wo bleiben sie noch sie selbst? Oder schluckt sie das Virtuelle ganz und gar? Wie bei einer von ihnen, die sich den Pulli vom Leib reißt und den Kopf in einen Knäuel aus Plastikfolie steckt, um schließlich darin im Kopfstand zu verharren? Benutzen sie die künstliche Intelligenz als Mittel zum Zweck? So wirft dieses Stück von Gloria Höckner mehr Fragen und Rätsel auf und lässt das Publikum in etwas ratloser Düsternis zurück.

Das Festival läuft noch bis Ende April und bietet neben den drei Kreationen der Residenz-Choreograf*innen eine ganze Reihe von Workshops, Warm-ups, Vorträgen, Diskussionen, Publikumsgesprächen sowie kostenlose Tastführungen vor der Vorstellung. Näheres unter TanzHochDrei.

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