"SYM-PHONIE" von Sasha Waltz. Tanz: Ensemble

"SYM-PHONIE" von Sasha Waltz. 

Pathos ohne Konfrontation

„SYM-PHONIE MMXX“ von Georg Friedrich Haas und Sasha Waltz & Guests mit zwei Jahren Verspätung in der Lindenoper Berlin uraufgeführt

Ein nicht tänzerisches Instrumentalstück mit Klangflächen wie die Oberfläche eines Meeres für die Atmosphäre einer griechischen Tragödie: Trotz eines guten Ansatzes bleibt der Abend ungefährlich für alle.

Berlin, 14/03/2022
Zwei Jahre musste Georg Friedrich Haas warten, bis sein erstes Ballett „SYM-PHONIE MMXX“ uraufgeführt werden konnte, denn die Premiere der 2019 geschriebenen Partitur musste wegen Corona abgesagt werden: Jetzt müsste der Titel eigentlich MMXXII lauten. Bisher vor allem als Komponist feiner Opern bekannt – die letzten fünf auf Texte von Händl Klaus – hat er hier zum ersten Mal für Tanz geschrieben. Wie zu erwarten, ist seine Musik dennoch nicht tänzerisch. Wie schon der Titel andeutet: „SYM-PHONIE MMXX“ ist ein reines Instrumentalstück für großes Orchester und wird im Graben der Berliner Staatsoper Unter den Linden unter Leitung von Ilan Volkov von der Staatskapelle in ihrem ganzen Klangreichtum zur Geltung gebracht. Sasha Waltz hatte ihm den Kompositionsauftrag noch in ihrer Zeit als Ko-Intendantin des Staatsballetts erteilt.

Es beginnt mit wummernden Kontrabässen und tiefen Hörnern, als würde gleich „Rheingold“ gespielt. Da entstehen wunderbare Klangflächen, aber alles ist stetig in Bewegung, wie die Oberfläche des Meeres. „Beginn einer Sonate“ hat der Komponist diese Einleitung genannt. Haas steht in der Tradition der französischen Spektralisten um Gérard Grisey, die sich stark mit den Obertönen auseinandersetzen, Mikrointervalle verwenden, aber alles beiseitelassen, was nach Melodie und Rhythmus aussieht. Es geht also um Klangereignisse, und Haas formt daraus einen faszinierenden Fluss musikalischer Ereignisse. Auf dem Höhepunkt brodelt dieses Meer wie die glühende Masse in einem Hochofen. Kraftvolle Musik, zu der viele Assoziationen möglich sind.

Auf der Bühne sehen wir die Assoziationen, die Sasha Waltz dazu entwickelt hat, wiederum mit ihrer Truppe Sasha Waltz & Guests. Zu Beginn liegen Tänzer*innen auf der Bühne, erheben sich allmählich und vollführen vor einer goldgekachelten Riesenwand Gruppenaktionen, die immer wieder in lebenden Bildern erstarren, die unheimliche Schatten auf die Wand werfen. Diese Atmosphäre einer griechischen Tragödie wird etwa eine halbe Stunde lang aufrechterhalten, das Pathos durchzieht die Choreografie, die wie immer mit den Tänzer*innen gemeinsam entwickelt wurde, hier aber sehr deutlich die Hand der Chefin zeigt. Auf einen „Proportionskanon“ folgt die „Polyphonie der Massen“, in der die Beziehungen zwischen Individuen und Kollektiv ausgelotet werden.

Als die zehn Tänzerinnen und elf Tänzer sich hinten vor der Wand in zwei parallelen Reihen aufgestellt haben, hört die Musik auf. Stumm beginnen zwei von ihnen, einen nach dem anderen herauszunehmen und vorne sanft auf den Boden zu betten. Als alle zum Liegen gekommen sind, spult sich der Vorgang rückwärts ab, es geschieht eine „Lautlose Wiederholung der Polyphonie der Massen“, die in die Partitur einkomponiert ist. Was in diesen zwanzig Minuten Stille geschieht, ist völlig voraussehbar. Den einen langweilt das, die andere sieht fasziniert zu, wie die Tänzer*innen dieses Kunststück durchführen.

Danach setzt die Musik wieder ein, und es beginnen fünf Teile „Viele kleine Geschichten“ inklusive zweier „Lautloser Wiederholungen“. Hier trillern Holzblöcke und jaulen chinesische Gongs, und wenn auf der Bühne kämpfende Gruppen dargestellt werden, die obendrein auch noch synchrone Bewegungen ausführen, erinnert das ein wenig an den chinesischen Film „Das rote Frauenbatallion“ von 1961. Dann wiederum klingt Tristan-Klage auf und artikuliert individuelles Leiden. Die goldene Wand beginnt nun die Bühne von links nach rechts zu queren und den Fluss des Tanzes zu stören, aber das geht letztlich konfliktlos vorbei. „Theater der Soli“ bringt Streckungen und Hebungen, die einerseits das Streben nach Entfaltung, andererseits aber auch Gewaltsamkeit vermitteln.

Plötzlich ist es dunkel: „Finsternis“, dann folgt das Finale, in dem die goldene Wand (Bühne: Pia Maier Schriever) sich langsam aus dem Schnürboden herabsenkt, bis der letzte Tänzer der Gefahr entgangen ist, zerquetscht zu werden. Nein gefährlich wird es zu keinem Moment an diesem Abend. Das große Pathos erfüllt sich nicht mit wirklicher Konfrontation. Die von Bernd Skodzig elegant eingekleideten Tänzer*innen zeigen im brillanten Licht von David Finn fabelhafte Energien und Bewegungsvirtuosität, doch versandet das alles zunehmend in Beliebigkeit. In dieser schrecklichen Zeit kommt „SYM-PHONIE MMXX“ vielleicht wirklich zwei Jahre zu spät. Bei mir überwog Ermüdung, der Saal feierte alle Beteiligten einschließlich der Staatskapelle und des Komponisten herzlich.

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