Riesiges Netzwerk an Gedanken

Nomadische Akademie von Anna Konjetzky

Ein intimer Abschluss der „Nomadischen Akademie“ der Münchner Choreografin Anna Konjetztky im Kunstbunker Nürnberg.

Nürnberg, 03/05/2022

Etwas versteckt am Bauhof, unweit des Nürnberger Hauptbahnhofs, geht eine steile Treppe hinab in den kalten und kargen Kunstbunker. Es ist ein Forum für zeitgenössische Kunst, das seit 1994 in Betrieb ist und schon Filme & Videos von Lawrence Weiner oder Skulpturen von Erwin Wurm präsentiert hat. An einzig einem Sonntag im April waren nun drei Jahre Nomadische Akademie in einem erleb- und begehbaren Archiv zu erkunden. Das Abschlussformat zwischen Ausstellung, Lecture und partizipativen Aktionen fügte sich ganz wunderbar in diesen kahl-weißen Ort ein.

Zu Beginn dieses Abends und des Bunkers stand eine Lecture-Performance von Noor Abed, die die Folklore als Wissensquelle tänzerisch-filmisch untersucht. Am Eingang zum nächsten Raum fanden sich links und rechts zwei Bildschirme, auf denen die Nomadische Akademie auf sechs Seiten beschrieben wird. Kurz zusammengefasst: Die Nomadische Akademie ist ein internationales Rechercheprojekt der Münchner Choreografin Anna Konjetzky, das von November 2019 bis März 2022 an verschiedenen Orten (München, Nürnberg, Fürth, Wroclaw, Athen und Ankara) stattfand und sich mit den Themen „care, alliances, queerness and connection“ beschäftigte. Gefördert wurde die Akademie durch den TANZpakt Stadt-Land-Bund, einer Initiative zur Exzellenzförderung im Tanz mit internationaler Ausstrahlung, und dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Die Kerngruppe dieser umherziehenden Akademie (bestehend aus: Daphna Horenczyk, Sahra Huby, Anna Konjetzky, Caitlin van der Maas, Susanne Schneider und Quindell Orton mit Carolin Jüngst, Sonia Ntova and Mariella Nestora im zweiten und dritten Jahr) lud beispielsweise die Partner*innen aus den europäischen Städten nach München ein und war bei ihnen zu Gast, um gemeinsam zu kochen, zu tanzen, zu denken und zu schreiben.

Im November 2019 ging es zuerst nach Polen, um zu den Themen und Worten „Freiraum, Grenze, queer und quer“ zu recherchieren. Im Dezember wurde dann in München zur 1. Plattform in den neuen, von Anna Konjetzky gegründeten, Playground auf dem Gelände des Kreativquartiers geladen. Der Playground ist „a space for physical thinking, artistic research, choreographic sketches“ und somit als Labor natürlich perfekt für die Nomadische Akademie geeignet.

Im Kunstbunker konnte man in einem der Räume einigen Fotografien folgen, auf denen diese künstlerisch-forschenden Treffen und Versammlungen im Ausland sowie die Plattformen in Deutschland präsentiert waren. Das waren kleine, kurze und überaus statische Einblicke in eine große, dauernde und bewegte Zeit. Die beste Einsicht in das, was geschehen ist, erhielt man in drei je ungefähr halbstündigen Videos, die jedes der Akademie-Jahre umfassten. Präsentiert auf drei riesigen Bildschirmen mit einzelnen Kopfhörern, um sich individuell Zeit lassen zu können beim Abtauchen in eine Zeit, deren Inhalte und Ergebnisse man um sich herum wiederfinden konnte.

Wie beispielsweise eine Wand, auf der alle Beteiligten und Teilnehmenden der Nomadischen Akademie namentlich genannt wurden. Oder die Auflistung dessen, was die Yawning Revolution (auf Deutsch: gähnende Revolution, also höchst ansteckend) alles sein kann, die im März 2022 bei der 3. Plattform in München entstanden ist. „The Yawning Revolution is dry lips. / The Yawning Revolution is sometimes not there. / The Yawning Revolution is not a taboo.“ Im nächsten Raum wurde man zum Mitmachen eingeladen, durch die verschriftlichten und von Tänzerin Sahra Huby illustrierten Scores, die während der Zeit der Akademie entstanden sind. Aufgehängt im Raum oder als Karten auf dem Boden verteilt, oder auch von Tänzerin Quindell Orton eingesprochen und über Kopfhörer anhörbar, konnte man sich dementsprechend durch den Kunstbunker bewegen oder auch einfach stillschweigende und -stehende Allianzen mit Gegenständen im Raum eingehen. Physische und hörbare Gemeinschaft entstand nebenan im „Parasitic Reading Room“, in dem nacheinander aus einem speziell für den Tag konzipierten Skript Texte vorgelesen werden konnten. Dieser parasitäre Leseraum, 2018 in Istanbul entstanden, versteht sich als offener Versammlungsort sowie als reisende Schule. Die Menschen sollen sich von den ausgewählten Texten und verschiedenen Stimmen berühren lassen und andere Ideen, Vorstellungen und Wissen zulassen. Am 24. April 2022 waren im Kunstbunker in Nürnberg beispielsweise Texte von bell hooks, Paolo Ploteher oder auch Auszüge aus „Staying with the Trouble“ von Donna Haraway zu hören. Die 3. Münchner Plattform 2021 der Nomadischen Akademie stand unter dem Titel „allies and alienation“, in der sich eingehend mit eben diesem Text von Donna Haraway beschäftigt wurde, in dem sie sich artenübergreifende Kooperationen für das Überleben des Planeten vorstellt. Auszüge davon sind im Kunstbunker an einer Wand zu finden, darunter Anleitung plus Faden für komplexe Fadenspiele, um spielerisch eben genau diese Verzweigungen und Netzwerke aufzugreifen.

Anna Konjetzky will den Körper von Grund auf verstehen und stellte während ihrer Recherchen vor allem die politische Dimension des Körpers und die Notwendigkeit von Veränderung und Rebellion in den Fokus. Dabei ist die Nomadische Akademie ein auf persönlichem Austausch beruhender, nicht fester, sondern umherziehender Ort, der nicht institutionalisiert werden will. Die behandelten Themen waren ebenfalls fluide, haben sie sich doch über die Jahre durch besondere Geschehnisse, vor allem Corona, verschoben und weiterentwickelt. Die für das Corona-Jahr 2020 geplante 2. Münchner Plattform fand dementsprechend leider nicht in Person statt, sondern wurde als Onlineversion „In between“ im Juni 2021 abgehalten. Im Oktober 2020 konnte allerdings die Reise nach Athen angetreten werden und zum Titel „mapping the unseen“ gearbeitet werden. Kurz vor der Abschlussveranstaltung, fand der Austausch in Ankara statt, wo es in speziellen Touren um das Erleben der Stadt ging.

In der Nomadischen Akademie ging es darum, miteinander zu forschen, zu reflektieren, auszuprobieren sowie Theorie und Praxis miteinander in Verbindung zu bringen. Die Formate waren gleichzeitig bildend, kommunikativ und freilich recherchebasiert. Drei Jahre Recherche und Forschung, die gesamte Nomadische Akademie, in ein paar Räume zu packen scheint eine unlösbare Aufgabe zu sein. Doch einen Einblick in dieses riesige Netzwerk an Gedanken, Assoziationen und Austausch hat man auf jeden Fall bekommen. Das volle Wissen jedoch wird vollends bei den Beteiligten der Nomadischen Akademie bleiben, worum sie wirklich sehr zu beneiden sind.

 

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