"La Bayadère" von Rudolf Noureev. Tanz: Celia Drouy, Axel Magliano

"La Bayadère" von Rudolf Noureev. Tanz: Celia Drouy, Axel Magliano 

Neue Étoiles in "La Bayadère"

Marius Petipas indische Fantasie in der Pariser Oper

Diese „Bayadère“ bleibt in ihrem Genre eines der schlüssigsten Werke des Pariser Repertoires, das noch Gelegenheit für viele weitere Rollendebüts geben wird.

Paris, 06/04/2022

Die jüngste Wiederaufnahme von „La Bayadère“ in der Opéra Bastille hatte einiges von einer Traumvision: ähnlich wie der opiumbenebelte Solor durfte das Pariser Publikum, vom wieder legalisierten Pausenchampagner berauscht, beim Anblick der herrlich synchronen Formationen verstorbener Tempeltänzerinnen vorübergehend der scheußlichen Realität entfliehen. Die „Bayadère“, die Rudolf Nurejew kurz vor seinem Tod aus Russland an die Pariser Oper brachte, hat alle Zutaten, um dem Publikum für drei Stunden der Tristesse des Daseins zu entreißen: eine berührende Liebesgeschichte mit Störfaktor (der Krieger Solor soll Gamzatti, die Tochter des mächtigen Radscha, heiraten, liebt aber die Tempeltänzerin Nikiya, die vom Radscha mittels einer Giftschlange beseitigt wird), prachtvolle Bühnenbilder (Ezio Frigerio) und Kostüme (Franca Squarciapino), originelle Requisiten vom Stofftiger bis zu einem elefantenförmigen Gefährt, auf dem Solor zur Verlobung mit Gamzatti erscheint, indisch angehauchte Charaktertänze mit Trommeln, Schleiern, Papageien und Krügen, ein tanzendes goldenes Idol, schmerzunempfindliche Fakire sowie eine Visionsszene, die zu den beeindruckendsten des Repertoires des 19. Jahrhunderts gehört. In letzterer sieht der reumütige Solor im Rauch seiner Opiumpfeife nicht nur seine geliebte Nikiya, die ihm seinen Verrat schließlich vergibt, sondern auch ein ganzes Corps de Ballet weiblicher Schatten, die in einer schier endlosen Aneinanderreihung von Arabesken den Himalaya hinabsteigen. Trotz einiger Anspannung der Tänzerinnen und mancher noch zu regelnder Details in der Gruppenchoreografie war dies ein eindrucksvolles Comeback der Kompanie, die in ihrer über dreihundertjährigen Existenz schon ganz andere Krisen durchgestanden hat.

Angeführt wurde die Gruppe von zwei jüngst ernannten Étoiles, Sae Eun Park als Nikiya und Paul Marque als Solor. Die Koreanerin Park war eine zwar etwas kühle, aber sehr lyrische und grazile Nikiya, ein perfektes Gegenstück zu Valentine Colasantes resoluter, zuweilen geradezu brutaler Gamzatti. Die selbstbewusste, technisch solide Colasante bildete ein perfides Team mit Arthus Raveaus Radscha, der vor keiner Schandtat zurückschreckte, um seine geliebte Tochter in die glückliche Ehe mit Solor zu führen. Letzteren porträtierte Paul Marque als sympathischen, willensschwachen Jüngling, dem man angesichts der Leichtigkeit und Eleganz seines Tanzes so manchen moralischen Mängel nachsah. Er meisterte die zahlreichen Schwierigkeiten der Rolle ohne sichtbare Anstrengung, einschließlich der Manège von Double Assemblés am Ende des Balletts, die schon einige Étoiles der Kompanie ins Stolpern brachte.

Trotz eines gewissen Mangels an Enthusiasmus des Orchesters (Leitung: Ernst van Tiel), das durch Ludwig Minkus’s Partitur offensichtlich nicht zu Höchstleistungen angespornt wurde, war es eine Vorstellung auf hohem Niveau, bei der selbst während der vielen Pantomimeszenen und der ausgiebigen Divertissements keine Langeweile aufkam. Gerne verzichtete man auf den vierten Akt mit dem einstürzenden Tempel, für dessen Rekonstruktion Nurejew Zeit und Kräfte fehlten, sowie auf die Nurejewschen Manierismen und die psychoanalytischen Untertöne, die viele seiner anderen Klassiker-Neufassungen auszeichnen. So bleibt diese „Bayadère“ in ihrem Genre eines der schlüssigsten Werke des Pariser Repertoires, und es ist anzunehmen, dass sie noch Gelegenheit für viele weitere Rollendebüts geben wird.

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