"Chapters of Joy" von Roni Chadash.

"Chapters of Joy" von Roni Chadash.

Insel der unbegrenzten Poesie und Ruhe

Das Festival Off Europa öffnet Tanzpassagen nach Osteuropa und Israel

Zur 31. Ausgabe des Festivals präsentieren internationale Künstler*innen ein kleines Best-Off.

Leipzig, 19/05/2022

„Kunststücke“ heißt die diesjährige Ausgabe des Festivals Off Europa, das noch bis Sonntag in Leipzig, Dresden und Chemnitz zu Gast ist. Kurator Ralf Geißler hat Künstler*innen aus Osteuropa, Israel und Italien nach Sachsen gebracht, um in dieser 31. Ausgabe des Festivals ein kleines Best-Off zu präsentieren, denn eigentlich hat das Festival immer einen klaren Länderschwerpunkt.

Das erste Kunststück, das zur Festivaleröffnung am Montag im Leipziger Lofft präsentiert wurde, stammt aus Israel von der Choreografin und Tänzerin Roni Chadash, die bereits 2019 Gast von Off-Europa war. In dem diesjährigen „Chapter of Joy“ tanzt sie zusammen mit zwei Tänzern und zwei Tänzerinnen. Es ist eine deutsche Erstaufführung und die erste Aufführung des Stücks nach Corona. Die fünf Tänzerinnen und Tänzer sitzen in bunten Trainingsoutfits auf dem großen weißen Tanzteppich und ebenso das Publikum an allen vier Seiten verteilt, sodass die meisten Zuschauer*innen nah dran sind. Die Kapitel der Freude sind an diesem Abend Klavierstücke vom Band. Nachdem beim ersten noch nichts passiert, entwickelt die Compagnie beim zweiten Anspiel kleine Soloperformances, die parallel auf der ganzen Bühne stattfinden.

Es sind kleine spielerische Etüden, aus denen sich dann kleinere Gruppenarbeiten herausschälen. Zackige Bewegungen, mal sehr rhythmisch, mal verspielt. Von da aus entwickelt sich ein Gruppenbildungsprozess, der sich auch choreografisch niederschlägt. Es ist eine gemeinsame Suche. Immer wieder brechen die Tänzerinnen und Tänzer aus, selten sind alle synchron in den Bewegungen, die individuell bleiben und auch akrobatische Elemente wie Radschlagen beinhalten können. Zugleich finden sich auch kurze zärtliche und dialogische Momente in diesem übervollen Tanzstrom, der sich zumeist weigert, einen klaren Fokus zu setzen, sondern Vielfältigkeit feiert.

Die tänzerische Qualität ist durchaus unterschiedlich, aber das Energielevel ist hoch und die Company schafft es mit einer gehörigen Portion Witz, das Publikum in seinen Bann zu schlagen. So schalten die Tänzerinnen den beiden Tänzern immer wieder die Musik ab, während sie in einer Art Disco-Nummer über die Bühne tanztaumeln. Unmerklich formt sich dabei die Gruppe, werden verschiedene Bewegungsstrategien durchprobiert – bis hin zum Reigentanz. Popkulturelles Diskogehabe wird kombiniert mit zeitgenössischen Tanzmustern. Immer wieder überraschen rasante Tempowechsel und am Ende gibt es als fulminantes Finale sogar noch eine klassische Gruppenchoreografie. Es ist ein Abend der Tanzenden und nicht ein Fest der Choreografin. Vielfalt, Neugier und auch die Lust am Scheitern, das Wachsen an den Aufgaben stehen im Vordergrund und das Roni Chadash Dance Project nimmt das Publikum mit auf diese unprätentiöse Reise durch ihre Welt der Bewegungen.

Am Mittwochabend gibt es im Lofft dann einen radikalen Gegenentwurf zu sehen. Zuzana Kalíková von der slowakisch-schweizerischen Compagnie TDU zeigt ihr Solo „Am I in the picture?“ als deutsche Erstaufführung. Kalíkovás Ausgangspunkt sind dabei die Fotografien von Francesca Woodman, die sich stark mit dem weiblichen (und auch dem eigenen Körper) auseinandergesetzt hat, aber diese eben nicht automatisch in den Bildmittelpunkt stellt, sondern die Motive auch mal aus dem Bild ragen ließ.

Auf der Bühne steht nun eine große rechteckige Projektionsfläche und davor sitzt Kalíkova auf einem Stuhl in einem falsch herum getragenen Hemd. Für ihr erstes Spiel zieht sie einen Spiegel heran. Mit dem Rücken zum Publikum sitzend betrachtet sie dieses durch die Reflexion und jeder Zuschauende hat sein eigenes Blickfeld, keine Perspektive gleicht sich. Hinzu kommt ein dunkles Licht, das den ganzen Abend in einen monochromen Ton taucht. Auch hier ist der Verweis auf die Schwarz-Weiß-Fotos implizit. Später stellt sie eine Reihe Gläser auf, in die sie durch eine Karaffe Wasser gießt, jedoch so, dass die Karaffe hinter ihrem nun nackten Körper verschwindet und es aussieht, als ob das Wasser aus ihr kommt – mit großer Lust zur Frivolität.

Die Gläser dienen dann erst als Liegestätte, dann als Schuhe, was gleichermaßen an High-Heels oder Spitzentanz erinnert und auch die körperliche Deformierung des Weiblichen in seiner Suche nach projizierter Schönheit illustriert. Dabei lässt sie sich Zeit, lebt die Momente voll aus und unterlegt das Ganze mit durchaus poetischer Musik und Geräuschen, die alle den ruhigen, langsamen Flow der Performance unterstützen. Geradezu malerisch wird es, wenn sie hinter der Folie verschwindet, um mit Schattenspielen und Naturelementen, die nächste Ebene zu eröffnen. Dieses Spiel mit Schärfe und Unschärfe, erzeugt durch einen Polylux und gekonnten Materialeinsatz, produziert entrückte Bilder, um dann gegen Ende diese zweidimensionale Ebene brutal in die dritte Dimension zu erweitern, wenn sie die Folie erste zerstört und dann über das gesamte Set spannt. Zuzana Kalíková liefert einen wunderbar sinnlichen und fließenden und vor allem visuell eindrücklichen Abend, der gleichermaßen eine Liebeserklärung wie Absorption der Fotografin Francesca Woodman ist. Eine Insel der unbegrenzten Poesie und Ruhe, die den Lärm der Welt für einen Moment verstummen lässt.

 

Das Festival läuft noch bis Sonntag, den 22. Mai.

 

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