Davide Dato, Maria Yakovleva und Damenensemble

"Giselle" von Elena Tschernischova. Tanz: Davide Dato, Maria Yakovleva und Damenensemble

Giselle auf der Spur

Elena Tschernischovas „Giselle“-Inszenierung mit drei Besetzungen beim Wiener Staatsballett

Wien zeigt eine bald 30 Jahre alte in Schwarzweiß gehaltene Fassung, die von der damaligen Titelheldin Brigitte Stadler wieder einstudiert wurde. Maria Yakovleva, Davide Dato und Andrey Teterin berührten in dieser ein begeistertes Publikum.

Wien, 24/02/2022
„Giselle“ - natürlich ist es die immer wieder faszinierende tragische Geschichte, die wegen ihres schmerzvollen Endes heute auch ohne Standesdünkel so herrlich funktioniert: Das männliche Umgehen mit Betrug und Schuld, welche das dramatische, nicht wieder gut zu machende Ende mit dem Tod der Geliebten heraufbeschwören. Auf gewöhnlich farbenprächtige bäuerliche Szenen um ein Weinlesefest, das die Verliebtheit zwischen dem einfachen Mädchen Giselle und dem adeligen Albrecht einbettet, früh durchschaut vom Wildhüter Hilarion, folgt eine dunkle geisterhafte Welt ganz nach dem Sinn der Anhänger der Epoche der deutschen Romantik. Untreuen Männern schwören da aus Gräbern steigende, an gebrochenem Herzen verstorbene Frauen in Gestalt der weißen Wilis tödliche Rache. Nur Giselle, deren Herz zwar auch gebrochen aber nicht erkaltet ist, kann diesem Teufelinnenkreis, den man wohl auch feministisch interpretieren kann, bedingt abschwören und Albrecht vor dem Ableben retten.

Allerdings belehrt uns auch da wieder einmal Choreograf Alexei Ratmansky eines Besseren. Der Spezialist für historische Quellen-Deutung und wirkungsvolle, museumsferne Reanimation hat sich der immer wieder veränderten Werk-Gestalt von „Giselle“ 2019 am Bolschoi Ballett genähert. Die Fassung wurde 2020 auch als Live-Übertragung in westlichen Kinos ausgestrahlt. Nach dem Studium des bis heute überlieferten Materials, das vor allem in den Solo-Variationen des Albrecht starke Unterschiede aufweist, bezieht sich Ratmansky offenbar auf weitere Hinweise von Marius Petipa, durch dessen mehrmalige Überarbeitungen, zuletzt 1903 für Anna Pawlowa, das Werk am Laufen blieb sowie auf Nikolai Sergejews Zeugnisse. Er scheint aber auch auf Material von Arthur Saint-Léon gestoßen zu sein.

Die eigentliche „Giselle“-Fassung, also die Pariser Uraufführung von 1841 mit Choreografien von Jean Coralli und Jules Perrot (vor allem für Carlotta Grisi und die Pas de deux) und der anspruchsvollen Musik von Adolphe Adam, deren choreografisch verloren gegangene Fuge im 2. Akt Ratmansky aus eigener Fantasie neu gestaltete, hat - so Ratmansky - mit einem moralischen Ende geschlossen. Will heißen: In einem sehr christlichen Sinn verzeiht das bäuerliche Mädchen Giselle dem Aristokraten Albrecht seinen Liebesbetrug an ihr, indem sie ihn explizit darauf hinweist, liegend auf Moos und Blüten und nicht am Grab, seine rechtmäßige Beziehung mit Bathilde fortzusetzen. Eine fast pädagogische, damals auch einem Standesdenken gemäße Schlussfolgerung, die in Ratmanskys Inszenierung mit Olga Smirnova und Artem Belyakov, ein typgerechter danseur noble, den Standesunterschied über die wahre Liebe stellt.

Die bald 30 Jahre alte in Schwarzweiß gehaltene Wiener Fassung der kurzzeitigen Ballettchefin Elena Tschernischova, die nun von der damaligen Titelheldin Brigitte Stadler und einstigen Partnerin des legendären Albrecht von Vladimir Malakhov wieder einstudiert wurde, hat von diesem noblen, heute überholten pädagogischen Ende nichts. Und macht dadurch eine Liebe zwischen den beiden bis in den Tod möglich. Bathilde hin oder her. Standesdünkel verlieren hier ihre Macht, auch wenn sie von Tschernischova intendiert waren. (Auch die Herkunft und Bildung des jeweils als Albrecht besetzten Tänzers spielen in der Interpretation eine Rolle.) So betrachtet lässt sich in der Not auf einen eigentlich für den Albrecht notwendigen danseur noble verzichten, über einen solchen verfügt Wien derzeit auch gar nicht. Über andere Details dieser von Anfang an wenig geliebten Inszenierung, die damals in Wien auf eine sehr lebendige, auch regiemäßig durchdachte Einstudierung von Alicia Alonso gefolgt war, will man gar nicht mehr meckern, etwa dass Giselle nicht dem Grab entsteigt, sondern banal die Bühne betritt. Im Grunde orientierte sich die ehemalige Ballettmeisterin des American Ballet Theatre wohl an der in New York von David Blair einstudierten Version, mit kleinen Änderungen. Und naturgemäß an das, was landläufig unter russischer Tradition läuft.

Brigitte Stadler dürfte ihre liebe Not mit einer raren Bühnenprobe gehabt haben. Wirkte doch der erste Abend mit dem physisch sehr ungleichen Paar Liudmila Konovalova und Masayu Kimoto sowie Eno Peci als Hilarion nicht nur überhastet seitens des Dirigenten Jendrik Springer, sondern auch noch nicht ausreichend auf der Bühne platziert. Vielmehr gewann man den Eindruck, Zeugin einer Probe mit überfordertem Ensemble gewesen zu sein. Dieser Umstand sollte sich in den folgenden Vorstellungen verbessern.

Die alternative Besetzung wies mit Maria Yakovleva und Davide Dato innig einander zugetane Verliebte auf, die nicht nur blendend aussahen und harmonierten, schauspielerisch nuanciert gewandt agierten und zur Begeisterung des Publikums auch tanztechnisch ohne Überheblichkeit ihre Register ziehen konnten. Dato war ein bewegender Albrecht, der sein reifes Können der Rolle seriös unterstellte und seine Solovariationen im Dienst der Geschichte auffasste. Maria Yakovleva vermochte mit Feinheit aber auch Nuancenreichtum ihrer Giselle ein Gesicht zu geben, sie überzeugte gestalterisch auch in ihren Soli, die Wahnsinnsszene wirkte, Mutter Berthe (Franziska Wagner-Hollinek) fing ihre Tochter mütterlich auf. Im 2. Akt in dem man immer wieder über die Ballkleid ähnlichen Kostüme der Wilis staunt, wies auch Andrey Teterin als in den Tod stürzender Hilarion noch einmal auf seine tänzerischen Möglichkeiten hin.

Er war es, der auch wenige Tage später in derselben Gestalt Elena Bottaro durch ihr Debüt begleitete, eine noch von Manuel Legris zur Solotänzerin beförderte sehr begabte, filigrane, langgliedrige in Mailand ausgebildete Tänzerin, die damit einen wichtigen Schritt getan hat und Kraft sowie Praxis für ein abendfüllendes Stück erwerben wird. Partner Denys Cherevychko wirkte an ihrer jungmädchenhaften Seite sehr abgeklärt, wie der sichere Halt an diesem Abend.

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