Kareth Schaffer (l.) und Martin Hansen (r.)

"No More Suffering" von Kareth Schaffer (l.) und Martin Hansen (r.)

Exorzismus des lebenslangen Leids

"No More Suffering" von Kareth Schaffer und Martin Hansen hat in den Uferstudios in Berlin Premiere

Gibt es einem Ausweg aus dem Leid? Die Performance versucht mit Sprechakten, Tanz und Seilspringen Wege aus einer leidigen Gegenwart zu finden.

Berlin, 25/02/2022
Eine riesige Schlangenzunge entrollt sich von rechts auf die Bühne. Alles drumherum dröhnt und kreischt, ist in ein tiefrotes Licht getaucht – herzlich willkommen im Limbus, dem Aufenthaltsort für Seelen, die vom Himmel ausgeschlossen, aber nicht zu weiterer Bestrafung verdammt sind. Hinter der Zunge: der Eingang zur Hölle. Dort wartet unendliches Leid.

Und dabei fing der Abend so heiter an. Kareth Schaffer und Martin Hansen in knallroten Turnanzügen und Lippenstift präsentieren dem Publikum die Kunst des Springseilspringens. Ganz synchron hüpfen die beiden durch den Raum, das Schwingen der Seile gibt gleichmäßig den Rhythmus vor. Mal auf einem Bein, mal überkreuz, rückwärts, vorwärts, seitwärts – alle Variationen, die man sich ausdenken kann. Dazu schneiden die beiden Grimassen, mal zu sich, mal ins Publikum. Das ist clownesk, sehr unterhaltsam und beeindruckend, denn die beiden fallen beinahe nie aus dem Rhythmus und sind perfekt aufeinander abgestimmt. Hier gibt es kein Leid, auch wenn beide manchmal das Gesicht wutentbrannt verziehen, aber auch das wirkt eher amüsant.

Vielleicht lässt sich Leid ja mit Springseilspringen überwinden? So scheint es, wenn die beiden, während sie hüpfen, ein „No More Suffering“-Manifest deklarieren. Leiden wird als etwas Unausweichliches wahrgenommen, aber warum muss das so sein? Gibt es keinen Ausweg daraus? Lässt sich das Leid der Gegenwart nicht überwinden? Damit beschäftigen sich die zwei Performer*innen in ihrer neuen Arbeit. Der einstündige Abend soll diesen lebenslangen Hang zum Leiden überwinden.
Schaffer und Hansen gelingt es, immer wieder Bilder und Assoziationen von Leid zu kreieren und gleichzeitig mit Humor zu bestücken. Das nimmt der Thematik die Schwere und es ist auf keinen Fall eine Performance über Leid, bei der das Publikum mitleidet und dadurch mit schwerem Herzen zu einer Art Katharsis gelangen soll. Leiden wird viel eher weggetanzt und beschwört. Bewegungssequenzen wechseln sich mit Sprachchoreografien ab. So gibt es ein tolles textuelles Duett, das sich um die allseits bekannte Aussage „I´m fine“ bewegt. Denn wir sind ja alle immer fine und können uns nicht beklagen und es könnte immer noch schlimmer sein – I am fine, can´t complain, how are you? Die Absurdität dieser Phrasen, die viel zu häufig einfach so dahingesagt werden, wird hier wunderbar deutlich.

Auch tänzerisch schafft es das Duo, eindrucksvolle Bilder zu erschaffen. Die Bewegungen sind auf der einen Seite roboterhaft, gleichzeitig fließend, wie aufgezogen. Gesten von Gewalt und Kraft wechseln sich mit tänzerischen Elementen ab. Jeder für sich folgt seinem Bewegungsablauf, bis sie sich manchmal näherkommen und miteinander ringen. Das kann mal intim gedeutet werden, mal gewaltvoll. Immer wieder gibt es Hinweise auf Himmel und Hölle, so erklingen gesungene Psalmen, wenn die Performer*innen auf einem hohen Podest katholische Glaubensbilder nachstellen, die erst noch heilig wirken und durch ihre Schleier an Maria erinnern, dann aber in brutale Höllenbilder umschlagen. Untermalt wird der gesamte Abend von den Klängen von Mars Dietz, die von elektronisch atmosphärisch bis maschinell und an Schüsse erinnernd reichen. So wird aus dem Abend, der hell und hüpfend beginnt, schnell der tiefrote Limbus.

Kareth Schaffer und Martin Hansen gelingt es zwar nicht, eine Lösung für die Leidfrage zu liefern, aber die gibt es vermutlich auch nicht. Viel mehr schaffen sie es, bildhaft und streckenweise humorvoll dem Leiden seine Kraft zu rauben. Sie werfen stattdessen die Frage auf, warum der Mensch schon immer besessen war von Leid und Schmerz, wenn das Gegenteil doch viel erstrebenswerter ist. Vielleicht sollten wir alle mehr Seilspringen, dann wäre die Welt ein bisschen besser.

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