"Transverse Orientation" von Dimitris Papaioannou

Fremdartig vertraut

Deutschlandpremiere von Dimitris Papaioannous „Transverse Orientation“

Grandioses Bildertheater voll stiller Würde: In Dresden Hellerau sitzt das Publikum sprachlos vor einem riesigen, sanftmütigen Stier

Dresden, 02/04/2022

Es gibt tatsächlich Stücke, über die möchte man nichts preisgeben, weil zu befürchten steht, den Zauber des Moments vorwegzunehmen und dadurch zu zerstören. Im Fall von Dimitris Papaioannous „Transverse Orientation“, das in HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste seine Deutschlandpremiere erlebt hat, sollte man eigentlich schweigen. Zu sagen wäre nur, dass man dieses verrätselte Bildertheater einfach gesehen haben muss.

An einer schlichten weißen Rückwand, die einen simplen, klaren Raum schafft, hängt eine einzelne Neonröhre, die zu sprechen scheint. Ihr hörbares Flackern gibt sieben schwarzen, identischen Gestalten Orientierung, die alle kleine, gesichtslose Köpfe auf ihren Schultern tragen und sich auf groteske Weise um eine schwarze Leiter zanken. Damit sind auch schon alle Farben in diesem sensiblen Bewegungstheater aufgezählt. Zu dem Weiß des Raumes und dem Schwarz der Kostüme kommt nur noch die Farbe der menschlichen Haut, die bloß liegt und zum deutlichen Zeichen von Verletzbarkeit wird. Diese Nacktheit findet sich besonders stark kontrastiert neben einem riesigen schwarzen Stier, der von den Performern unter der reduzierten Lichtregie im Gegenlicht berückend realistisch zum Leben erweckt wird.

Über gut eineinhalb Stunden reihen sich absurde Bilder an poetische Szenen, die völlig fremd und gleichzeitig merkwürdig vertraut erscheinen, immer wieder mit absurd humoristischem Einschlag. Es ließe sich endlos weiter beschreiben, was auf der Bühne geschieht. Dessen Wirkung aber liegt jenseits von Worten. Die Sogwirkung dessen entsteht durch eine immense Würde, die in der Langsamkeit und einer ernsthaften Stille zelebriert wird. Einige wenige, punktuell gesetzte Takte sanfter Musik von Vivaldi; der Rest kommt komplett ohne akustische Untermalung aus. Das ist jenseitig, zumindest nicht von dieser Welt.

Die Dramaturgie lässt sich Zeit und zieht immer wieder unvermittelt durch überraschende Momente an. Wenn eine einzelne Performerin nackt langsam, ganz langsam über die Bühne läuft, sonst nichts tut, verwandelt sich die „schräge Ausrichtung“ aus dem Titel in Gebanntheit: aus „transverse“ wird „transfixed“. Das Publikum scheint nicht mal mehr zu atmen. Bis sich schließlich eine kleine Reverenz an Becketts „Glückliche Tage“ erkennen lässt und mit dem Bühnenbild plötzlich etwas geschieht, womit niemand hat rechnen können. Man fragt sich, ob das eigentlich jemals ein Ende finden kann. Dann ist alles vorbei. Einfach so. Und man bleibt sprachlos zurück. Sprachlos besonders deswegen, weil bislang keine weiteren Gastspiel-Termine in Deutschland auf dem Plan stehen.

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