Solo mit Ungereimtheiten

Charlie Prince tanzt "Cosmic A*" beim Festival „Tanz!Heilbronn“

Das markant angekündigte und als „Artist in Residence“ am Theater Heilbronn produzierte Solo kann die hohen Erwartungen nicht einlösen.

Heilbronn, 24/05/2022

Eine beeindruckende Klangkulisse schiebt sich über die Bühne des Komödienhauses ins schnuckelige Heilbronner Logentheater. Links sitzt ein Musiker mit altertümlicher Handtrommel und Elektronik. Analoge Rhythmen und digitale Zuspieler verschmelzen zu abstrakt atmosphärischem Sound im Breitwandformat mit arabischer Anmutung. Hört man entfernt den Ruf eines Muezzins? Nach derlei Akustik-Vorspiel schält sich aus dem Bühnendunkel eine kauernde Gestalt. Quälend langsam à la Butoh, renkt, räkelt und dreht er seine Glieder, schiebt sich wie ein waidwundes Tier von links nach rechts, wo er zum Stehen kommt und sich nun in Nijinskys „Faun“ zu verwandeln scheint – ebenfalls eine Metapher aus der Frühphase des japanischen Butoh-Tanzes (in den späten 1960er Jahren), der dann auf flacher Diagonale von rechts nach links stapft. 

Der Nachwuchschoreograf Charlie Prince begibt sich laut Programmheft des Festivals „Tanz!Heilbronn“ auf „die Suche nach Darstellungsweisen einer arabischen Identität jenseits von Vorurteilen und äußeren Zuschreibungen.“ „Faszinierende Körperlichkeit und politische Reflexion“ vereine dieses Solostück, so markant wird das als „Artist in Residence“ in Baden-Württemberg produzierte Stück angekündigt. Eigentlich ist es kein Solo, sondern eher ein Dialog mit dem Musiker, denn der sorgt für den arabischen Sound. Bereits vor seinem Studium (Perkussion für Jazz- und Popularmusik) an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim hatte Turnbull bei Mohammad Reza Mortazavi und Madjid Khaladj Privatunterricht für iranische Perkussion genommen. Den arabischen Bezug vermisst man aber ansonsten bei diesem Bewegungstheater. 

Verglichen mit den japanischen Originalen des Butoh, aus dem Prince sein Bewegungsmaterial zum größten Teil bezieht, ist die Körperlichkeit weit entfernt von faszinierend, allenfalls tänzerisches Mittelmaß. Zur Erklärung: Vancouver ist ein Hotspot des japanischen Butoh der zweiten und dritten Generation. Von Fernost über Kanada ins alte Europa (wo die Avantgarde des Tanzes mit Programmen wie „L’après midi d’un faune“ der Ballets Russes 1912 Furore machte, was zu einer der Quellen des Nachkriegstanzes in Japan wurde). Die Aneignung auf Umwegen wird im Programmheft blumig als Eintauchen in „eine imaginierte Mythologie“ beschrieben. Prince „erschafft Körperbilder, die an Zentauren und hybride Fabelwesen erinnern“, korrekt müsste es heißen: Prince kopiert Körperbilder, die an Zentauren und hybride Fabelwesen erinnern.

Warum der Titel „Cosmic A*“ heißt, das - ebenfalls im Programmheft - erwähnte Video im Stück nicht vorkommt und die Produktion ausgerechnet als Artist in Residence (März 2020) am Theater Heilbronn entwickelt wurde, bleiben ebenso unbeantwortet, wie der Strobolicht-Beschuss am Ende: Dieser Effekt wurde in einer Stuttgarter Ballettinszenierung kongenial eingesetzt. Damals war das Licht so präzise getaktet, dass die Momente der Gand Jetés, in denen der Tänzer Vladimir Malakhov den Boden berührte, vom Dunkel verschluckt wurden, sodass nur die lichten Momente zu sehen waren und der Eindruck entstand, als flöge Malakhov zeit- und schwerelos! 

Würde man eine Residenz-Nachwuchsproduktion im Programm weniger ungereimt, weniger hymnisch ankündigen und ihr den Raum des Unfertigen zugestehen, würde man den jungen Künstler*innen sicher einen Gefallen tun - und dem Publikum auch.

 

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