"Petruschka" von Adriana Mortelliti. Tanz: Ensemble

"Petruschka" von Adriana Mortelliti. Tanz: Ensemble

Bravouröse Ensembleleistung

„STRAW!NSKY“ als gefeierte Premiere am Staatstheater Cottbus

Der dreiteilige Abend mit den Choreografien "Petruschka", "Piano Rag Music + Tango" und "Le Sacre du Printemps" ist ein Theatererlebnis von Rang und beweist, dass das Cottbuser Ballett eine personelle Aufstockung verdient.

Cottbus, 05/04/2022

Musikgeschichte aus 119 Jahren und Tanzentwicklung aus 38 Jahren bietet der aktuelle Ballettabend am Staatstheater Cottbus. „STRAW!NSKY“ mit dem demonstrativen Ausrufezeichen im Namen verweist auf die Klammer des dreiteiligen Projekts, das pandemiebedingt mit zweijähriger Verspätung die Bühne des Großen Hauses erobert. Kompositionen des russischen Musikerneuerers Igor Strawinsky sind Inspiration für zahllose Tanzschöpfer*innen. Drei präsentiert die Premiere.

„Petruschka“, ein 1911 entstandenes, folkloristisch getöntes Bild aus dem russischen Märchenfonds, verlangt Choreograf*innen eine Neubewertung ab, um eine ursprünglich rassistisch bezeichnete Figur antirassistisch zu neutralisieren. Adriana Mortelliti, dem Cottbuser Ensemble bereits mehrfach verbunden, sieht in jener Figur schlicht den „Anderen“, einen Rivalen des titelgebenden Volkshelden. Beide kämpfen um die Gunst der Ballerina, alle jedoch, auch die in dunkle Mäntel gehüllten Menschen um sie, sind Opfer eines manipulierenden Gauklers. Aus ihrem Eingesperrtsein in seine kalt neonbeleuchtete Schaubude mit drei Kammern entlässt sie der Gaukler in eine von ihm bestimmte „Freiheit“. Das Gerangel der zwei männlichen Paradepuppen um die Tänzerin schaukelt sich virtuos hoch und kulminiert im Mord des Anderen an Petruschka. Der jedoch, ganz unsterbliche Volksfigur, ersteht neu, quetscht gemeinsam mit den Menschen den Gaukler in die Bude und wird so zum Freiheitsführer. Tanz moderner Prägung, bis hin zu Anleihen des Hip-Hop, verordnet die Choreografin eigens für Cottbus in Soli und Duos besonders dem Trio Alyosa Forlini als Petruschka, Simone Zannini als selbstsicherem Herausforderer und der umworbenen Ballerina Emily Downs.

Eine winzige Filmsequenz des Tumults im Zuschauerraum ist von der Uraufführung 1913 in Paris erhalten. Heute gilt „Le Sacre du Printemps“ als Markstein für jede*n Choreograf*in. Unter den ungezählten Tanzversionen sticht auch jene des in Cottbus bereits wohlbekannten Niederländers Nils Christe hervor. Was er 2007 formte, fordert das durch Gäste erweiterte Ensemble um Ballettchef Dirk Neumann immens heraus. Strawinskys Grundidee behält Christe bei: ein Mädchen tanzt sich zu Tode, um dem anbrechenden Frühling nährende Fruchtbarkeit zu geben. Wie sich mit der brachialen Musik der Tanz bis zum Exzess aufschaukelt, aus der Passivität des Beginns über die Suche nach dem Opfer hinein ins furiose Finale, reißt in seinem Wechsel aus verhaltener Spannung und eruptivem Ausbruch mit. Hochmusikalisch geschieht das, in geballten, auch gegenläufigen Gruppenszenen und souveränen Raummustern, durchwürzt mit bis ins Artistische gesteigerten Einzelaktionen. Lauernd, wiegend, im Stand oder in der Seitlage zitternd warten die Menschen auf die atmosphärische Entladung, recken die Männer ihren Unterkörper den Frauen entgegen. Wie sich das auftrumpfende Philharmonische Orchester unter GMD Alexander Merzyn und die 18 Tänzer*innen gegenseitig befeuern, macht diesen „Sacre“ zu einem Theatererlebnis von Rang.

Zwischen beiden Großprojekten steht ein Juwel aus dem Erfindergenius des frühverstorbnen Meisterchoreografen Uwe Scholz. „Piano Rag Music + Tango“ von 1984 ist ein Dialog zwischen dem auf der Szene spielenden Pianisten, hier Christopher Cartner, und dem technisch enorm geforderten Interpreten. Wie überbordend und zugleich lässig Stefan Kulhawec diesen Wettstreit bewältigt, macht „STRAW!INSKY“ zu seinem Abend, brilliert er doch ebenso als Magier und in „Sacre“. Der Lokalpolitik ins Stammbuch: Trotz Sparzwängen verdient das Cottbuser Ballett eine personelle Aufstockung!

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