"Bluthochzeit" von Olaf Schmidt. Tanz: Sarah Altherr, Ensemble

Zeitlose Themen, beseelt getanzt

„Bluthochzeit“ von Olaf Schmidt in Lüneburg uraufgeführt

Ein szenisches Kaleidoskop nach Federico Garcia Lorca über Unterdrückung, patriarchalische Bevormundung und die Antwort darauf: Ungehorsam und weibliche Kraft. Das Ensemble tanzt mit vollem Einsatz von Körper und Seele.

Lüneburg, 03/05/2022

Federico García Lorca war ein spanischer Dichter und Schriftsteller, dem nur ein kurzes Leben vergönnt war: 1936 wurde er erst 38-jährig von Francos Schergen im spanischen Bürgerkrieg ermordet. Seine Gedichte und Theaterstücke sind geprägt von der Melancholie und Schwermut, aber auch dem Feuer und der Kraft spanischen Temperaments sowie von der Aufbruchstimmung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Lorca studierte zusammen mit Salvador Dalí und Louis Bunuel und wurde vor allem durch seine Theaterstücke bekannt. Sie spiegeln die Härte der jahrhundertelangen patriarchalischen Gesellschaftsstruktur und die damit verbundene Tragik der Frauenschicksale: „Yerma“, die Geschichte von der Frau, die vergeblich auf ein Kind wartet; „Dona Rosita“, die Geschichte von der Frau, die vergeblich auf den Verlobten wartet; „Bernarda Albas Haus“, Lorcas letztes Werk, die Geschichte von der Witwe, deren fünf Töchter – so wollte es die Tradition – zu acht Jahren Trauer verpflichtet wurden, was in einem Desaster enden musste; und: „Bluthochzeit“, die Geschichte von der jungen Frau, die einen Mann heiraten soll, den sie nicht liebt, und deren Flucht mit dem Mann, den sie liebt, tragisch endet, weil sich beide Männer gegenseitig töten. In all die schwermütigen Themen hat Lorca aber immer auch einen Hoffnungsschimmer eingebaut: eine „Verrückte“, die den Widerstand verkörpert, weil sie sich durch ihr Verrücktsein nicht an Konventionen halten muss, sondern alle gesellschaftlichen Normen sprengen darf. Sie kann durch ihr Anderssein die verkrusteten Strukturen aufbrechen und frei sein.

Dieses schwere und düstere Material mit den zeitlosen Hauptthemen „Liebe“ und „Tod“ (irgendwer wird immer umgebracht) hat Olaf Schmidt zusammen mit dem Dramaturgen und Co-Regisseur Boris von Poser zu einem fulminanten Ballettabend verarbeitet, dem die Geschichte der „Bluthochzeit“ zwar einen Rahmen gibt, der aber auch die in den anderen Stücken vorkommenden Aspekte mit aufgreift. „Bluthochzeit“ ist kein Handlungsballett, sondern ein skizzenartiges Kaleidoskop, das die jahrhundertelang eingefahrenen gesellschaftlichen Strukturen Spaniens spiegelt – und ebenso den Widerstand dagegen. „Bis heute lastet auf spanischen Frauen ein Leidensdruck, die jahrhundertelange patriarchalische Struktur ist wie eingeprägt in die Gene“, sagt Olaf Schmidt im Vorgespräch zur Aufführung. „Männer und Frauen leben oft nebeneinander her oder in Konfrontation.“ Gleichgültigkeit, Machtgehabe und Kampf – zeitlose Themen und damit verbunden existenzielle Gefühle, die heute aktueller sind denn je. Ihm gehe es dabei, so Olaf Schmidt, vor allem darum, dass das zehnköpfige Ensemble (das im Rahmen eines Stipendiums von „Dis-Tanz-Start“ bis vorläufig Ende des Jahres um eine weitere Tänzerin aufgestockt wird) „nicht mit dem Kopf tanzt, sondern mit der Seele“.

Und so ist dieser Abend ein sehr emotionaler, der am besten mit dem Herzen verstanden wird. Dies umso mehr, als die Musikauswahl genauso beseelt ist wie der Tanz. Da ist Max Herzog, ein virtuoser Flamenco-Gitarrist aus Hamburg, der verschiedene Szenen einfühlsam live begleitet – ohne jeden folkloristischen Touch. Da sind die Lieder von Chavela Vargas (1919 – 2012), einer mexikanischen Sängerin, Freiheitskämpferin und Freundin Frida Kahlos, die mit 80 Jahren ihr Coming-out hatte und noch mit über 90 Jahren ihre letzte CD produzierte. Ihre tiefe, raue Stimme geht unmittelbar unter die Haut. Und da sind verschiedene andere spanische Lieder und Instrumentalstücke, die kongenial zu den Themen passen, die der Tanz darstellt.

Olaf Schmidt zeigt mit „Bluthochzeit“ einmal mehr sein überragendes Talent, die elementaren Fragen des Lebens in einer überzeugenden Bewegungssprache auszudrücken. Fulminant die Szene vor der Pause, wenn die Frauen rote Tücher aus ihren Eimern ziehen und sie wie Waschfrauen auf den Boden klatschen, bis sie sich zum Schluss schließlich das Wasser über den Kopf gießen. Emotional berührend Rositas verzweifelte Anklage ihrer Einsamkeit, wenn sie begreift, dass sie allein bleiben wird. Hinreißend die „Reflektion über Männlichkeit“ nach der Pause, wenn die fünf Tänzer in roten Satin-Kniebundhosen (eine Anspielung auf die Toreros in der Stierkampfarena) hintereinander wie bei einer Polonaise über die Bühne schreiten, den Blick starr ins Publikum gerichtet. Bewegend der Tanz der Mutter, die ihre weiblichen Züge unterdrücken möchte, aber doch ihren Sehnsüchten nicht entkommen kann. Und kaum auszuhalten das vergebliche Bemühen der Braut, sich das unwillkommene Brautkleid vom Leib zu reißen.

Das gesamte Ensemble zeichnet diese Szenen und seine Charaktere ebenso eindringlich wie technisch souverän: Júlia Cortés als Braut, Rhea Gubler als Verrückte, Irene La Monaca als Yerma, Claudia Rietschel als Mutter, Sarah Altherr als Rosita; Phong Le Thanh als Verlobter, Vicent Munoz Amo als Ehemann, Clément Coudry-Herlin als Bräutigam, Samuel Dorn als Kind, Hugo Prunet als Dichter.

Manuela Müller hat ein wunderbar schlichtes Bühnenbild entworfen, das gerade mit seiner Reduktion und Kargheit dem Tanz und der Expressivität den nötigen Raum verschafft, aber auch einen wichtigen Rahmen, der das Ganze zusammenhält. Susanne Ellinghaus hat dazu kongenial einfache Kostüme geschneidert, die den Tanz und die Choreographie voll zur Geltung kommen lassen. Ein grandioser Abend.

 

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