"ABC" von Eric Gauthier, Tanz: Shori Yamamoto

"ABC" von Eric Gauthier, Tanz: Shori Yamamoto

„Ballet for Life“ als Appell gegen den Krieg

Internationale Stars solidarisieren sich mit der Ukraine

Aus Ensembles von Amsterdam bis Zürich waren Stars nach Berlin angereist, um honorarfrei ihre Verbundenheit mit einem geschundenen Volk zu erweisen.

Berlin, 25/04/2022

Seine ganze Welt sei plötzlich zusammengebrochen, schreibt Oleksandr Shpak im Programmheft, als er von Russlands Angriff auf seine Heimat erfuhr. Er habe für einige Tage nicht trainieren und proben können, empfand seinen Beruf als sinnlos angesichts der sich zuspitzenden Kriegssituation. Aufgerüttelt habe ihn seine Kollegin Iana Salenko mit den Worten, auch mit unserer Kunst können wir etwas bewirken. So entstand die Idee zur Benefiz-Gala „Ballet for Life“. Sie fragten unter befreundeten Tänzer*innen und Compagnien nach – und erhielten zahlreiche Zusagen. Am 21. April, gut eine Woche vor dem Internationalen Tag des Tanzes, ging eine Gala der Sonderklasse über die Bühne des Admiralspalasts in Berlin, initiiert und künstlerisch geleitet von Iana Salenko, der Ersten Solistin im Staatsballett Berlin, produziert von Demi-Solotänzer Oleksandr Shpak, beratend zur Seite stand Solotänzer Arshak Ghalumyan. Was nach einer Schweigeminute für die ukrainischen Kriegsopfer vor ausverkauftem Auditorium dann zu sehen war, kündete von der überwältigenden Solidarität mit einem attackierten Land wie auch vom hohen Standard internationalen Tanzes – und feierte in bedrohten Zeiten das Leben.
Für die 18 Einzelbeiträge unterschiedlicher Länge hatten zehn Ensembles hochrangige Vertre-ter*innen nach Berlin entsandt. Einige Darbietungen waren eigens für die Gala entstanden, andere passten sich perfekt dem übergeordneten Thema an. Als eine der stärksten Miniaturen erwies sich Maurice Béjarts Trommler-Porträt „Liebe und Tod“ in der rundum überragenden Gestaltung von Oscar Chacón und Kateryna Shalkina. Auch in John Neumeiers Sequenz „Wo die schönen Trompeten blasen“ aus dem „Wunderhorn“-Zyklus zeigten Alexandre Riabko und Silvia Azzoni, wohin Krieg führt. Von Oscar Chacón stammt das Klagesolo „Morgendämmerung“ für seine Kollegin Kateryna Shalkina. Den eindringlichen Schlussakkord setzte Iana Salenko als Soldatin in Arshak Ghalumyans Choreografie „Maaleene D.“ zu Marlene Dietrichs bewegendem Antikriegs-Chanson „In den Kasernen“.
Auch die vielen anderen Beiträge bestachen durch ihre choreografische Qualität und die tänzerische Bravour. So hatte etwa Christian Spuck für seine Exzerpte zu Musik von Monteverdi und aus Verdis „Messa da Requiem“ ein exzellentes Solistenquintett mitgebracht. Hans van Manen verdankt sich das filigrane Duett „Déjà vu“ mit Floor Eimers und Edo Wijnen von Het Nationale Ballet; in einem Pas de deux aus Kenneth MacMillans „Manon“ brillierten Katerina Khanyukova und Aitor Arrieta Coca vom English National Ballet, und für den Pas de deux aus „La Esmeralda“ fanden blitzsauber Yolanda Correa vom Staatsballett und Young Gyu Choi von Het Nationale zusammen.
Aus dem gastgebenden Staatsballett Berlin waren Iana Salenko und Marian Walter in einem Duett aus Roland Petits „La Chauve souris“ zu sehen; Arshak Ghalumyan steuerte das aufregend sich steigernde Frauenquintett „Mare Crisium“ bei; mit David Dawsons „In the Nature of Daylight“ überraschten Aya Okumura und Alexandre Cagnat. Unter die Haut ging Marco Goeckes flirrende Bewegungssprache in „Infant spirit“, zumal in Rosario Guerras hinreißend präziser Wiedergabe. Edith Piafs unvergessliches Bekenntnis „Non, je ne regrette rien“ bot Ben van Cauwenbergh und seiner Interpretin Adeline Pastor die musikalische Folie für ein fulminantes Solo. Und dass auch Humor zum Leben gehört, bewies Shori Yamamoto: In Eric Gauthiers Stilmix „ABC“ durfte er fast alle tänzerischen Genres makellos durchbuchstabieren – sehr zum Amüsement enthusiasmierter Zuschauer.
Aus Ensembles von Amsterdam bis Zürich waren Stars angereist, um honorarfrei ihre Verbundenheit mit einem geschundenen Volk zu erweisen. Ebenso verzichteten der Admiralspalast und die Gewerke auf Gage. Kunst hat sie alle zusammengebracht; die Einnahmen der Gala fließen der Ukraine zu. Auch dort lieben Menschen Kunst. Es ist die Unerbittlichkeit eines Krieges, dass viele, allzu viele sie nicht mehr werden genießen können.

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