"And when we change..." von Robyn Orlin

"And when we change..." von Robyn Orlin

Wilde Tanz-Pflanzen

Zum Auftakt des Festivals “Tanztheater International Hannover” wird gegen Leistungs- und Konformisierungsdruck getanzt, unterschiedlich kräftig

Die Südafrikanerin Robyn Orlin schafft blühende Landschaften mit den bloßen Händen, nur unter Einsatz Studierender der HfMDK Frankfurt, während Doris Uhlich Unkraut hegt und pflegt, statt ihm den Garaus zu machen.

Hannover, 07/09/2021

Einmannzelte in den feinen Herrenhäuser Barockgärten? Die Rasenstücke zwischen den gepflegten Blumenrabatten in Hannovers Prunkanlagen sind ja sonst eigentlich tabu. Zur Eröffnung des Festivals "Tanztheater International Hannover" durften jetzt Tanzstudierende der Musikhochschule Frankfurt darauf für die Dauer ihrer einstündigen Performance zelten. Ihre Zelte offenbaren sich als merkwürdige Verpuppungen. Mal windet sich ein Bursche in wilden Strickfetzenschichten da heraus. Mal gebiert das Zelt ein weiteres und einverleibt es sich dann wieder wie kopulierende Schneckenhäuser. Mal aber tastet sich ein Arm mit Spitzenschuh heraus und offenbart eine aus Spitzenschuhen geformte Tänzerin, bei der auch Brust und andere Körperteile mit Spitzenschuhen bedeckt sind. Schicht um Schicht versucht sie, sich aus den gazeumwickelten Ballettanforderungen zu befreien.

Das neue Stück von Robyn Orlin, konzipiert auch für die Buga in Erfurt und das Kunstfest Weimar, heißt aber nun nicht „Tänzerschicksale“, sondern „And when we change our landscape... is it with bare hands or gloves?“ Da fühlen wir uns doch auf das Gärtnerische zurückgeworfen, können in den sich entfaltenden Zeltfiguren erblühende Pflanzen oder entschlüpfte Insekten sehen. Der behauptete ökologische Überbau ist dabei brüchig, denn man kann Landschaften mit und ohne Handschuhe veröden oder gedeihen lassen, und die hier agierenden Menschen werden uns ja auch nicht als nackte Kreaturen, sondern formverspielte Zeltwesen vorgeführt. Inwieweit wäre Kunst überhaupt Natur? Ist sie nicht immer Zivilisation, also Gestaltung?

Und Orlins Zeltgeburten sind allemal kunstvolle Imitationen des Naturvorgangs: Fabelhaft, wie aus einem Zelt ein weißes Gespinst hervorlugt wie ein Bart aus Sabber oder Ejakulat und nach langwierigem Geruckel zu einem Kleid über dem ganzen Zelt wird, sodass man eine Dame im Barockkleid zu erkennen meint. Ein anderer schüttelt weiße Bündel aus seinem Zelt und formt eine Art Krinoline, mit der er wie ein Truthahn schreitet, bevor er nach mehrmaligem Anlauf in die Bündel springt und sich darin wieder verbergen kann. Bei der nächsten wird das Zelt irgendwann zum Flamenco-Rock. Das sind auch tolle Leistungen der meist verborgen bleibenden Tanzenden. Leider schafft man entgegen der Ansage der nutzlos aufdringlichen Drag Queen-Conférencière nicht alle Zelte anzusehen. Peinlich dilettantisch gerät das Finale aller Zelttänzerinnen und -tänzer auf dem Podium, wo sie sich zu einer einzigen Landschaft, Drachen oder Muschel, vereinigen. Das Ganze war womöglich eine phantasievolle Variation zum Thema Metamorphosen, als Beitrag zur Klimadiskussion aber eher verspielt.

Da wird Doris Uhlich am zweiten Festivaltag mit ihrer deutschen Erstaufführung konkreter: „Unkraut“ heißt ihre Auseinandersetzung mit Frauenklischees, die sie energisch auf die Ballhof-Bühne wuchtet. Hier wachsen zunächst Hände aus Pflanzfolie, wabern Insektizid-Wolken. Aber bald schon werden die Damen ungebärdig, ziehen sich an Armen, Beinen und Haaren, verknotete Arme wuchern in die Höhe. Nach Durchläufen mit Mannequin-Hüftschwung, Liegestütz-Exerzitien und Yoga-Sitzfigur starten Wettrennen mit Trillerpfeifenstart als Bild für den ständigen Leistungs- und Konformisierungsdruck, der gerade auf Frauen (aber nicht nur auf diesen) lastet. Dagegen hilft nur: Unkraut sein, Ungeziefer, „insect yourself“. Und so kommt es zu lauter Kafka-Metamorphosen, bilden die Frauen aus sich und miteinander Insekten.

Und gegen Body Shaming, wie es der Vergleich vorm Spiegel (den die Zuschauer bilden) hier vor Augen führt, hilft stolze Verunstaltung mit Zusatz-Po, Haken, Zacken, Schlangen, die sie sich aus verschiedensten Materialien überstülpen. Begossen wird auch, so kann eine freiere, natürlichere Generation gedeihen. Das bereits beklatschte Ende wird nochmal aufgebrochen, das war überflüssig. Der Abend breitet insgesamt vielleicht auch etwas redundant das eine, dann doch schnell kapierte Thema aus. Aber Power haben die Frauen, und ihre Wut auf die gesellschaftliche Zuchtwahl haut gut rein.

Kommentare

Noch keine Beiträge