„Requiem: Fire in the Air of the Earth” von Kyle Abraham

„Requiem: Fire in the Air of the Earth” von Kyle Abraham.

Sinnbild unserer Zeit

Weltpremiere von „Requiem: Fire in the Air of the Earth” von Kyle Abraham beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel in Hamburg

Der amerikanische Choreograf Kyle Abraham hat mit Mozarts Requiem als musikalische Basis ein zeitgemäßes Seelenamt auf die Bühne gebracht.

Hamburg, 26/08/2021

Wenn sich zu Beginn des Stückes die 10 Tänzer*innen der A.I.M. Company langsam gemeinsam mit dem Rücken zum Publikum über die Bühne bewegen, wird einem schmerzlich bewusst, wie sehr wir die Kultur und den Tanz in den vergangenen Monaten missen mussten. Kaum eine andere Musik wird dieser Stimmung mehr gerecht als Mozarts bewegende Klänge. Kyle Abraham, der 43-jährige US-amerikanische Choreograf, hat dazu eine kongeniale Choreografie geschaffen. Die Tänzer*innen – allesamt in absoluter Hochform – bewegen sich in weißgrundigen, satinglänzenden Kostümen von Giles Deacon (London), die keinen Unterschied machen zwischen Mann und Frau – alle tragen Kleider mit mehr oder weniger gebauschten Röcken oder Tutu. Und sie bewegen sich barfuß so katzenhaft geschmeidig, so feinsinnig, so fließend, als zelebrierten sie ein Hochamt auf das Leben und die Gemeinsamkeit. Dieser Tanz entfaltet – gerade in Kombination mit Mozarts bewegender Musik – einen magischen Sog, der von Anfang an in Bann schlägt. Das Bühnenbild (Dan Scully, New York) tut ein Übriges: eine große Scheibe am Bühnenhintergrund dominiert wie eine riesige Sonne das Geschehen – und erstrahlt in unterschiedlichen Farben und Projektionen.

Und dann der Bruch: stampfende, abgehackte Rhythmen lösen Mozarts bewegende Musik ab, die Bühne wechselt die Farben, der Sonnenspiegel bewegt sich langsam nach unten, dann wieder nach oben, in der Mitte eine nicht näher erkennbare Projektion aus verlaufenden Schlieren. Und so entwickelt sich diese eher ruhige und getragene Choreografie dann doch zu einer wilderen Form, die elektronischen Rhythmen lösen den getragenen Mozart ab, was dem Ganzen leider weniger guttut. Denn damit geht diese Magie verloren, der spannungsreiche Kontrast zwischen dem modernen Tanz und der klassischen Musik. JLIN, die für die Komposition der Tracks verantwortlich zeichnet, verwendet immer wieder Themen aus Mozarts Musik, verzerrt und zerhackt diese dann aber, so dass kaum noch etwas Erkennbares übrigbleibt. Und so dominieren eher die Irritationen durch die Musik das Geschehen als der Tanz, und es macht sich – auch durch die Redundanz der Bewegungsabläufe – eine gewisse Beliebigkeit breit.

Und doch bleibt etwas erhalten von der Magie, weil Kyle Abraham einen immer wieder wechselnden Reigen von Begegnungen entwickelt, ein Kommen und Gehen, ein Miteinander und Gegeneinander, das immer wieder gut ist für neue Bilder und Überraschungen. „Fire in the Air of the Earth“ thematisiert all das, was uns heute erschüttert: die riesigen Brände, die Corona-Krise, den Rassismus, die Entfremdung der Menschen voneinander und von ihren Ursprüngen, aber auch die Möglichkeiten und Chancen, die sich in jeder Krise verbergen, und die es aufzudecken und umzusetzen gilt.

Und so erscheint es wie eine Erlösung aus den oft schmerzlich bedrängenden Klängen der elektronischen Verzerrungen, als kurz vor Schluss dann noch einmal das „Benedictus“ aus dem Original von Mozart erklingt. In der „Sonne“ erscheint ein Mädchen, dessen Haartracht zufällig aussieht wie das Corona-Virus, Menschen, die sich sammeln und wieder weggehen. Auch das ein Sinnbild unserer Zeit.

Kommentare

Noch keine Beiträge