Opéra national de Paris, "Don Quichotte"

"Don Quichotte" von Rudolf Nurejew. Tanz: Florian Magnenet, Roxane Stojanov, Fanny Gorse

The show must go on

Die Pariser Oper trotzt Corona und "Don Quichotte" noch immer den Windmühlen

Situationsbedingt musikalisch etwas dünn, tänzerisch trotzdem ein Genuss: Rudolf Nurejews „Don Quichotte“ erfährt kongeniale Interpretation

Paris, 20/12/2021
Dieser Tage ist der Kauf einer Karte für die Vorstellungen der Pariser Oper wie der eines Lottotickets: Gibt es Musiker oder nicht? Gibt es Tänzer oder nicht? Und wenn ja, sind alle maskiert oder nur manche? In der sechsten geplanten Vorstellung der Wiederaufnahme von Rudolf Nurejews „Don Quichotte“ fiel das Los auf: Tänzer ja, Musiker nein, denn ein Mitglied des Orchesters wurde positiv auf Corona getestet. Die Tänzer hingegen durften – anders als im „Sacre du Printemps“ im Palais Garnier vor ein paar Tagen – sogar ihr Gesicht zeigen. Alle Nichttänzer auf der Bühne, einschließlich der Kinder des „Theaters im Theater“, das Nurejew in seine Fassung einfügte, zogen indes maskiert in den Kampf gegen Windmühlen, gruselige Phantasiegestalten, tyrannische Autoritätspersonen und andere Übel.

Wozu auch ein Orchester, wenn nur Minkus gespielt wird? Man ignoriert also zunächst den platten Klang der Tonbandaufnahme und freut sich am Prolog, der durch die erstaunlich gute Besetzung der Charakterrollen mit Arthus Raveau (Don Quichotte) und Hugo Vigliotti (Sancho Pansa) kurzweiliger als gewohnt über die Bühne ging. Beide enthielten sich der groben Übertreibungen, die diesen Pantomimerollen oft das Interesse rauben und porträtierten ihre Figuren mit subtilem Humor.

Im Lauf des ersten Aktes allerdings wurde immer deutlicher, wie sehr die Musik normalerweise den Tanz nicht nur begleitet, sondern auch trägt: Ohne die regulierende Hand des Dirigenten und den Ansporn des Orchesters fiel es den Tänzern sichtlich schwerer, sich vertrauensvoll und wagemutig in ihre Variationen und Pas de deux zu werfen. Die stellenweise sehr langsame Aufnahme erweckte zudem weniger den Eindruck spanischen Temperaments als eines gemütlich flackernden Kaminfeuers. Allerdings half dieses etwas schläfrige Tempo dem „Neuling“ der Besetzung, dem sehr hochgewachsenen Hugo Marchand, sich mit Bravour durch Nurejews zahl- und schrittreiche Basilio-Variationen zu kämpfen.

Marchand und Dorothée Gilbert, eine bereits erfahrene Kitri, sind inzwischen ein eingespieltes Team, das stets das Allermeiste aus den schauspielerischen Möglichkeiten seiner Rollen macht. Zwischen ihnen herrschte von Anfang an solches Einvernehmen, dass Sébastien Bertauds profithungriger Lorenzo und Cyril Chokrouns dandyhafter Gamacho nicht die geringste Chance hatten, diese Union zu stören. Marchand gewann das Publikum nicht nur durch die scheinbare Leichtigkeit, mit der er die meisten Schwierigkeiten seiner Rolle meisterte, sondern auch durch das triumphierende Strahlen, mit dem er Tanz und Verbeugungen begleitete. Gilbert bestach wie so oft durch ihre souveräne Ausstrahlung und hochsolide Technik.

Auch die weiteren Solorollen waren spannend besetzt mit Hannah O’Neill als graziler, langgliedriger Dryadenkönigin, Marine Ganio als quirliger Cupido und Inès McIntosh, einem aufsteigenden Stern der Kompanie, als Brautjungfer mit überbordender Energie. Espada wurde von Florian Magnenet als gockelhafter, etwas lächerlicher Verführer dargestellt, dessen Seitenblicke auf Kitris Freundinnen (Roxane Stojanov und Fanny Gorse) und andere Damen die temperamentvolle Straßentänzerin Héloïse Bourdon nur mühevoll in Zaum halten konnte.

Überhaupt wird bei Nurejew viel geflirtet, provoziert und belästigt, was nicht selten zu Raufereien und ausgiebigen Straßenschlachten führt. Um die Ehre gekämpft wurde auch in einem grotesken Duell zwischen Don Quichotte und Gamacho, bei dem der Ritter den Skalp – oder eher die Perücke – seines Widersachers erbeutete. Am Ende lösten sich die Rangeleien allerdings in Wohlgefallen auf, und die Hochzeitsfeierlichkeiten des glücklichen Paares ließen einen Augenblick das Bild einer trotz aller Widersprüche vereinten Gesellschaft aufscheinen. Möge die Kunst, deren Relevanz in den letzten Monaten so radikal angezweifelt wurde, hier dem Leben ein Vorbild sein!

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