„To see, to hear, to kiss, to touch, to die...“

Theater- und Tanz-Performance über Elisabeth I. von England von Angelika Neumann und Krisztina Horvàth im Haus Eden in Lübeck

Mit dem Begriff der "Tanztexturen" begibt sich Angelika Neumann auf eine Suche nach einem neuen Tanz- und Theaterstil, der aus der Verbindung von Wort, Tanz und Theaterelementen hervorgeht und gleichzeitig der starken Frauenfigur der "virgin queen" gerecht wird.

Lübeck, 22/09/2021
Unter dem ältesten Dach Lübecks, dem im Jahr 1268 erbauten Haus Eden, fand die Tanztheater Performance „#virginqueen“ statt. Das Haus mit wechselvoller Geschichte – ehemalige Wohn- und Arbeitsstätte von Advokaten im Mittelalter, Betriebsstätte einer Seifenfabrik, Lehrerwohnhaus, ehemaliges Kino und bis 2016 als Tanzlokal „Hanseatendiele“ genutzt – bietet nach umfangreicher Sanierung die Möglichkeit für kulturelle Veranstaltungen verschiedenster Art: Musik, Tanz, Film und Literatur können im ehemaligen Kinosaal veranstaltet werden.

Angelika Neumann, die mit der in Eutin lebenden und arbeitenden Choreografin Krisztina Horvàth seit 2017 zusammenarbeitet und an zahlreichen Produktionen des TanzTheaterEutin wie beispielsweise „Yerma“ oder der beeindruckenden Performance zu Valeska Gert teilgenommen hat, erobert sich mit dieser Arbeit, gecoacht von Krisztina Horvàth, ein ganz neues Terrain. Sie ist auf der Suche nach einem neuen Tanz- und Theaterstil, der aus der Verbindung von Wort, Tanz und Theaterelementen hervorgeht, eine Hybridform: „Tanztexturen“ nennt sie das.

Das Thema, das die beiden Künstlerinnen gewählt haben, ist historisch und gegenwärtig zugleich: Elisabeth 1. von England als historische Figur, aber auch die Rolle der Frau an sich, zwischen Unterdrückung und Selbstbestimmung, damals wie heute. In einem von Berend Neumann gestalteten Bühnenraum mit schaukelndem Thron im Hintergrund und einem mit nachgebildeten Bärten stilisierten Hof- und Beraterstab der Königin entwickelt sich eine collagenartige Szenenfolge über Macht, Ohnmacht und Liebesverlangen ohne Erfüllung. Auch über die Verschüchterung einer vom Vater Heinrich VIII. als Thronfolgerin nicht gewollten Tochter bis hin zur selbstsüchtigen Königin, die schließlich überschwänglich in Macht und Reichtum schwelgt und genüsslich ihre (seit ihrer frühen Kindheit) immer wiederkehrenden Heiratsangebote durchspielt, die sie aber alle ausnahmslos ablehnt. Den einen Mann, den sie wohl tatsächlich liebte, den Jugendfreund und Berater Robert Dudley, konnte sie aufgrund einer Intrige nicht heiraten und durch die damaligen Gesetze ohnehin nicht, da sie als verheiratete Frau alle Rechte und ihr Vermögen verloren hätte.

Zur Musik der 12 Etüden Op. 10 von Frédéric Chopin und dem von Angelika Neumann selbst gesungenen und ironisch verzerrten Love-Song „Come again“ von John Dowland entsteht eine Musik- und Text-Collage, die in ihrem Variantenreichtum (Vermischung von Original-Texten aus Schillers „Maria Stuart“, einem Shakespeare-Zitat und eigenen Texten) nicht immer nachvollziehbar ist.

Die Figur ist allerdings hervorragend nachempfunden und mal herrisch aufbrausend, mal zaghaft, ja verschüchtert dargestellt von der Schauspielerin/Tänzerin Angelika Neumann als einziger Akteurin. Sie spielt mit einer Intensität, die bisweilen unter die Haut geht, wenn sich beispielsweise Elisabeth im Zwiegespräch mit ihrem verstorbenen Vater befindet und ihn anklagt: „Warum hast Du meine Mutter aufs Schafott gebracht, nur weil sie Dir keinen Sohn gebar? Warum hast Du mich zu einem Bastard gemacht?“ Da wird nicht nur mit der Historie abgerechnet, sondern gleich auch mit den Verhältnissen in unserer heutigen Zeit, wenn Angelika Neumann einfach aus der Rolle der Elisabeth aussteigt und konstatiert: „Unvorstellbar, dass die Frauen zu Elisabeths Zeiten fast rechtlos waren, wie Sklavinnen. - Unvorstellbar, dass auch heute noch in vielen Ländern und Kulturen Frauen erst ihren Vätern, dann ihren Ehemännern gehorchen müssen. - Unvorstellbar, die patriarchalen Strukturen an den deutschen Theatern: überall Männer in Führungspositionen und für die Frauen bleibt nur die Besetzungscouch - autsch!“

An anderer Stelle, sie zieht in einem wunderschönen Bild die überlange grüne Schleppe ihres Kleides wie ein großes Segel hinter sich her, lobt sie die Erfolge ihrer Seefahrer, sehnt sich in deren vermeintliche Freiheit hinüber und freut sich an der reichen Beute: „Sir Walter Raleigh, das war ein Mann! Was gäbe ich dafür, so frei zu sein, wie er. Er hat uns viel Gold und Juwelen gebracht - und meiner besten Kammerfrau ein Kind!“ Es sind solch schroffe Brüche, die dieses Tanztheaterstück ausmachen: das Schwanken zwischen Macht und Ohnmacht, Sehnsucht und Enttäuschung bis hin zu Rachegedanken. Starke Bilder und Intensität in der Darstellung, manchmal untermalt von nicht immer unterstützenden Videosequenzen, entwickeln sich hin zum beeindruckenden Finale: dem „Ice Song“ aus der Oper „King Arthur“ von Henry Purcell. Zu der Arie „What Power Art Thou?“ sinkt die starke Königin unter Zuckungen und beleuchtet von kleinen Taschenlampen in den eigenen Händen erschöpft zu Boden. Der Preis für ihr Leben, ihre Macht, ihre Erfolge war hoch: ehelos, kinderlos, einsam starb sie.

Im Gegensatz zu vielen „Male Couples“, die Frauen ausgrenzen und heraushalten aus den Leitungspositionen – in der Kultur-Branche und in anderen Bereichen auch heute noch Gang und Gäbe – sind hier zwei Frauen gemeinsam kreativ und erschaffen neue künstlerische Welten, ja einen ganz neuen, eigenwilligen Tanztheaterstil, der allerdings in der Einbindung der tänzerischen Elemente in das Geschehen noch ausbaufähig ist.

Dieses „Female Couple“ lässt für die Zukunft noch Einiges erwarten! Ideen haben Angelika Neumann und Krisztina Horvàth jedenfalls genug. Ein neues Projekt ist in Planung: „Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen“, frei nach dem Bestseller von Christine Brückner „Wenn Du geredet hättest, Desdemona…“ Wohl an denn, man darf gespannt sein auf: ungehaltene Szenen ungehaltener Frauen - Teil 2!

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