Diskussion am Berliner Staatsballett zu Macht und Diskriminierung im Kulturbetrieb
Diskussion am Berliner Staatsballett zu Macht und Diskriminierung im Kulturbetrieb

Redebedarf

Diskussion zu Macht und Diskriminierung im Kulturbetrieb am Berliner Staatsballett

„Wir müssen reden“ – unter diesem Motto steht eine fünfteilige Diskussionsreihe beim Staatsballett Berlin. Der Abend zum Thema „Macht und Diskriminierung im Kulturbetrieb“ war besonders gut besucht.

Berlin, 09/11/2021
Es diskutierten Dr. Mariama Diagne (Leitung Gesellschaft für Tanzforschung, gtf), Dr. Dorion Weickmann (Süddeutsche Zeitung, tanz), Friedrich Pohl (dancersconnect, GDBA), Alan Barnes (Ballettmeister, Choreograph, Tänzer), Maren Lansink (Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt e.V.), Prof. Dr. Thomas Schmidt (Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt, HfMDK) und Annemie Vanackere (HAU Hebbel am Ufer, Intendantin und Geschäftsführerin), moderiert von Claudia Henne (Tanzjournalistin).

Die Pandemie habe die schlimmen Dinge wieder zunehmen lassen, berichtete Maren Lansink von der Themis-Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt. Hier kann man sich beraten und unterstützen lassen, wenn man in den darstellenden Künsten diskriminiert wird. Es habe durchaus Leiter*innen gegeben, die sich Jobs gegen sexuelle Gefälligkeit bezahlen ließen. Es gäbe noch immer den Mythos, Künstler*innen müssten gebrochen werden, um zu blühen – ein Hebel für Unterdrückung, denn erst mal sei jeder in seiner Gewalterfahrung allein. Solche Dinge seien zu behandeln sei schwierig, da in den Branchen jeder jeden kennt und dann meist mehr als ein Ruf zum Teufel geht. Die Politik, die doch die Aufsicht hat, sei in diesen Angelegenheiten ahnungslos und halte im Zweifel an den von ihr bestellten Machthaber*innen fest.

Am Theater gelte noch das alte Meister-Lehrling-Verhältnis mit absoluter Unterwerfung, fügte Dorion Weickmann hinzu. Auch seien die Missbräuche oft ein offenes Geheimnis, bei dem viele Bescheid wussten, bevor eine Sache an die Öffentlichkeit kommt. Friedrich Pohl, früher Tänzer beim Ballett der Rheinoper, schlägt in die gleiche Kerbe: künstlerische Begeisterung habe flache Hierarchien, doch den Akteuren drohe dann oft Erschöpfung. Alan Barnes hat bei William Forsythe in Frankfurt andere Erfahrungen gemacht: „Power flew through the company“. Forsythe war nicht interessiert an Macht und kooperierte ganz unkompliziert mit seinen Tänzer*innen. Der künstlerische Erfolg war der der gesamten Company. Bis die Politik das alles wieder zerschlug.

Auch Amelie Vanackere berichtet von anderen Modellen: In den Niederlanden war sie es gewohnt, sich alle vier Jahre evaluieren zu lassen. Das zwinge eine Leitung zum Nachdenken. Die Kollektive hätten sich im Zug von Selbstermächtigung mehr Unabhängigkeit von den Institutionen erstritten. Unbefristete Verträge seien selbstverständlich gewesen. In Deutschland seien alle noch zu autoritätsfixiert. Durch Corona hätten sich allerdings auch Arbeitsprozesse entkompliziert. Hier lasse sich noch einiges Unterdrückungspotential entschärfen. Pohl pflichtete ihr und Barnes bei: Künstler*innen seien Mitautor*innen, deshalb brauche es einen neuen Vertrag am Theater. Kunstfreiheit müsse für alle gelten, nicht nur für die Intendant*innen und Regisseur*innen, die damit ihren Machtmissbrauch legitimieren.

Prozesse führten zwangsläufig immer wieder zu Irrtümern, führte Mariama Diagne aus, dies Wissen müsse die Grundlage sein für die Behandlung der Machtverhältnisse. Man müsse Instrumente entwickeln, die Veränderung ermöglichen. Schwierig sei die Solidarität unter den Künstler*innen deshalb, weil in den darstellenden Künsten der Körper der Träger der Kunst sei. Die Kunstfigur auf der Bühne sei gleichzeitig ein Mensch mit allen Konkurrenzproblemen. Am radikalsten äußerte sich der per Video zugeschaltete Tanzprofessor Schmidt. Der Konkurrenzdruck sei das Disziplinierungsmittel, das die Einzelpersonen ohnmächtig mache, statt Solidarität zu entwickeln. Man müsse mit den angehenden Künstler*innen von Anfang an die Grenzen besprechen, die zu setzen sind. Doch die Hochschulen seien leider politisch blind. Seine Forderung war der*die informierte Künstler*in. Dann könnten auch die Ensembles bei der Intendantenwahl kompetent teilnehmen. Sie sollten die Exekutive wählen, die ihnen dann verantwortlich ist: An die Spitze der Hierarchie müsse das Ensemble gesetzt werden. Im Übrigen müsse es vom Staat eine Grundversorgung für Künstler*innen geben, um sie unabhängig zu machen.

Wenn nur der*die Intendant*in geschasst wird, macht es der*die nächste genauso weiter – deshalb war die Forderung nach neuen Verträgen und Strukturen einvernehmlich. Auch die Einbindung der Öffentlichkeit, um die Probleme von allen Seiten angehen zu können, war Konsens. Gewerkschaftler Pohl fasste die Forderungen für sich so zusammen: 1. die jetzt schon bestehenden Rechte durchsetzen durch Transparenz und Schulung; und 2. die Pyramide kippen und das Vertragsrecht ändern. Das könnte dem neuen Personal Türen öffnen. „Wir sind weiter als wir denken,“ sagte Friedrich Pohl.

Nicht angesprochen wurde der eigene Diskriminierungsfall des Staatsballetts, der Kreise in ganz Deutschland, aber auch bis nach England und in die USA gezogen hat. Eine Tänzerin of colour hatte eine Ballettmeisterin des rassistischen Mobbings beschuldigt und auch den anderen Abteilungen des Hauses entsprechendes Verhalten vorgeworfen. Die Intendanz erteilte der Ballettmeisterin, die vom Tagesspiegel mit dem Attribut „Deutsche mit Ostbiographie“ diskriminiert wurde, drei Abmahnungen, während die Tänzerin eine Entschädigung von 16 000 Euro erhielt. Zwei Tage vor der Diskriminierungs-Diskussion hatte Birgit Walter in der Berliner Zeitung eine umfängliche Verteidigung der Ballettmeisterin veröffentlicht, die mit den Sätzen endet: „Pathetisch erklärte sie (die Tänzerin, bf) nach ihrem Prozess im April: „Ein kleiner Sieg für mich, aber ein großer Schritt für die Ballettwelt.“ Nein, kein großer Schritt. Nur ein charakterloser Auftritt, den sich die Leitung des Staatsballetts hier leistet. Sie hat keine saubere Aufklärung in der Compagnie geleistet und wirklichen Rassismus in der Gesellschaft verharmlost."

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