„Zugänge schaffen!“

Pick bloggt über das Symposium des Verbund deutscher Tanzarchive und den Tanzwissenschaftspreis NRW

Mehr Öffnung ist das Ziel fast aller Archive. Ob das Angesicht der weiten Entfernung von Wissenschaft und Praxis funktionieren kann, fragt sich Günter Pick.

Köln, 30/10/2016

Das Tanzjahr 2016 ist zwar noch nicht zu Ende, aber das für mich bisher wichtigste Ereignis war das Symposium „Zugänge schaffen!“, veranstaltet vom Deutschen Tanzarchiv Köln in Zusammenarbeit mit dem Verbund deutscher Tanzarchive, in den Räumen der Sparkassen Stiftung Köln. Gefördert wurde das alles mit Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (im Rest der Welt heißt so etwas Kulturministerium, aber das geht bei uns ja nicht ...). Die Idee hinter diesem Treffen war, dass die Tanzarchive, die in Deutschland mehr oder weniger etabliert sind, Stellung nehmen, wie ihr Dasein eine Berechtigung hat, wer von ihnen profitieren kann und was möglichst noch zu verbessern wäre. Diese Thematik war auch dem Eröffnungsvortrag von Dorion Weickmann, die sich längst einen Namen gemacht hat als Rezensentin der Süddeutschen Zeitung und des Journals „Tanz“, zugrunde gelegt. Auch sprach sie darüber, wie schwierig es sein kann, an die Materialien heranzukommen.

Das einzige Archiv, das ich gut kenne, ist das Deutsche Tanzarchiv Köln, gegründet von Kurt Peters, in dem ich zwischendurch selbst gearbeitet habe. Manchmal habe ich auch für das Heft „Das Tanzarchiv“ etwas geschrieben. Allerdings hat sich das Archiv seitdem sehr verändert, was natürlich schon an der Lage im Kölner Media-Zentrum liegt. Unter der Leitung von Frank-Manuel Peter hat sich dieses Archiv enorm entwickelt, gerade was die Öffnung für ein Publikum betrifft. Es gibt eine hervorragende Webseite, die ich auch gerade erst jetzt entdeckt habe, weil ich ja eigentlich nicht im Internet danach suchen musste, und Thomas Thorausch hat sich regelmäßig durch Ausstellungen in den Räumen hervorgetan, die er auch durch Führungen publikumswirksam zu gestalten weiß. Diese Öffnung ist wohl in steigendem Maße von allen Archiven gewünscht, was mich sogar etwas gewundert hat, denn ich hatte immer den Eindruck, dass man als Besucher eher stört und nicht sehr willkommen sei. Womit mir der Übergang zu den Tanzwissenschaftlern gelingt ...

Das Ende des ersten Tages war die Preisverleihung des Tanzwissenschaftspreises NRW an zwei junge Damen, die sich durch wissenschaftliche Arbeiten über den Tanz verewigt haben. Dieser Tanzwissenschaftspreis NRW ist mit jeweils 15.000 Euro dotiert und wird nur alle fünf Jahre vergeben – das passte natürlich hervorragend ins Tanzjahr. Die Namen der beiden Damen werde ich nicht verheimlichen, es sind Prof. Dr. Constanze Schellow und Dr. Katarina Kleinschmidt. Ich fürchte allerdings, dass sie mit solchen Arbeiten – die von Constanze Schellow wurde von PD Dr. Katja Schneider hier im tanznetz besprochen –, normale Tanzinterpreten und auch Choreografen nicht erreichen werden. Schon das Lesen der Rezension hat mich darin bestärkt, dass diese Leute in einem Elfenbeinturm Platz genommen haben, so jung sie sind, aber mit dem, um was es sich dreht, nämlich Ballett, Tanztheater oder, was noch öfter genannt wurde, einfach Bewegung, nur ganz von Weitem etwas zu tun haben, so trocken kommt es daher. Sie sind damit nicht allein, Theaterwissenschaftler sind genauso.

Doch zurück zum Symposium. Leider kenne ich das Leipziger Archiv unter der Leitung von Prof. Dr. Patrick Primavesi überhaupt nicht, aber mein Interesse hat er geweckt, obwohl es, wie er berichtete, räumliche Probleme hat. Die Akademie der Künste habe ich natürlich besucht, z. B. als sie das hervorragende Buch über Tatjana Gsovsky herausbrachten, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass man dort stöbern kann. Das ist aber sicher nicht die Schuld von Stephan Dörschel, dem Leiter der dortigen Theaterdokumentation, der die Akademie in Köln vertrat. Dass es in Berlin noch ein zweites Archiv gibt (im mime centrum berlin), war mir neu, wie auch der sympathische Leiter Thilo Wittenbecher. Obwohl mir das Gebäude des mime centrums natürlich bekannt ist – dort war eine Weile der Fonds Darstellende Künste eingezogen. Last, but not least bleibt noch das Deutsche Tanzfilminstitut Bremen, das Heide-Marie Härtel nicht nur betreut, sondern wie einst Kurt Peters in Köln auch aufgebaut hat. Sie ist nun dabei, mit neuen Geräten den Besuchern das Filmmaterial zugänglicher zu machen.

Die Zugänglichkeit ist dem Vernehmen nach der Wunsch aller fünf Archive, sonst wäre ja auch das Motto der Tagung verfehlt. Aber es fehlt natürlich an Geld für die Digitalisierung und da komme ich zurück zu den Wissenschaftlern, die ihre Studien an Universitäten absolvieren: Da müsste es doch möglich sein, dass der Bund über die Finanzierung der Tanzwissenschaftlichen Institute auch den Tanzarchiven, die quasi als deren „Außenstellen“ agieren, Geld zukommen lassen kann?!

Alle fünf Archive hatten nach der Preisverleihung Filmchen vorbereitet, die mit kleinen Kostbarkeiten unseres Tanzerbes den Abend vor dem Empfang ausklingen ließen. Wenn es auch nur wenige Minuten waren – von der Wigman und den vielen anderen –, jede Minute Film ist wunderbar und ich kann mich nicht sattsehen – genauso wie im Louvre.

Zum Schluss möchte ich noch über eines der zahlreichen Panels berichten, das aus Praktikern, also Theaterpraktiker/Choreografen, zusammengesetzt war. Und aus deren Äußerungen, wie sehr man die Archive brauche, um die Vergangenheit nicht zu vernachlässigen, wurde mir auch klar, wie groß der Unterschied sein kann – besser, sein muss: Es ist nicht ungefährlich gefilmte Vergangenheit 1:1 auf die heutige Bühne zu bringen. Das ist ähnlich wie in der Musik, die möglichst werkgetreu gespielt werden soll im Sinne des Komponisten, im Ausnahmefall auch auf historischen Instrumenten. Aber unsere Hörgewohnheiten und Konzertsäle sind anders geworden als zu Mozarts Besuchen bei Kaiserin Maria Theresia.

Henrietta Horn sprach von ihrer Arbeit, die Totentänze der Mary Wigman wieder ins Bühnenlicht zu bringen, aber neben wenigen Fotos, Notizen und Beschreibungen sowie Bodenwegen sei doch sehr wenig Material da. So wie dies auch bei der Rekonstruktion des „Sacre“, bei dem sie sich ebenfalls eingebracht hatte, der Fall war. Da ich „Sacre“ in Bielefeld und in München gesehen habe, kann ich nur sagen, großartig. Die Hauptsache ist doch, dass die Aussage des Stücks und der Tanz in den damaligen Kostümen ernsthaft nachempfunden werden. Und es bleibt ein Rest an eigener Interpretation, auch der Ausführenden, die nicht zu Anfang des vorigen Jahrhunderts aufgewachsen sind – wie vielleicht die Instrumente der Musiker. Es ist nicht damit getan, die Schritte aus einem Archiv zu sammeln, sondern, wenn es denn Lektüre dazu gibt, muss doch der Geist vor allem lebendig werden.

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