„Bittersüß – A Piece of Candy“ von Sinja Maucher und Annekatrin Kiesel
„Bittersüß – A Piece of Candy“ von Sinja Maucher und Annekatrin Kiesel

Tanz im Bonbon-Labyrinth

White.spot.kollektiv präsentierte „Bittersüß – A Piece of Candy“ von Sinja Maucher und Annekatrin Kiesel im Theaterforum Berlin-Kreuzberg

Das Tanzstück strukturiert sich aus Episoden der Besessenheit und Abstinenz inmitten von Unmengen von Bonbons.

Berlin, 26/01/2016

Die zweite abendfüllende Tanzperformance der Berliner Choreografinnen Sinja Maucher und Annekatrin Kiesel „Bittersüß – A Piece of Candy“ ist das choreografisch-inszenatorische Resultat eines dreimonatigen Selbstversuchs völligen Zuckerverzichtes. Das Tanzstück strukturiert sich aus Episoden der Besessenheit und Abstinenz inmitten von Unmengen von Bonbons. Im sinnlichen Erfahrungsraum - Bonbon-Labyrinth - entfalten sich zwei Seelenlandschaften widerstreitender Begehrlichkeiten. Die schlanken nuancenreichen Körper der Tänzerinnen in ihren graublauen Hosenanzügen (Kostüm: Christin Noel) setzen sich mit vollem Einsatz den emotionalen Amplituden aus.

Mit geschlossenen Augen, zuckendem Kopf und hündischen Armbewegungen nimmt Annekatrin Kiesel Witterung auf. Vorsichtig ertasten ihre Füße zum anschwellend klopfenden Sound einen Weg im Labyrinth aus bunten Bonbons. Später schiebt sich Sinja Maucher tranceartig in den Raum. Beider Körper verhakeln sich. Schlagartig hechten sie in die Bonbonflut, schieben die Zuckermengen ganzkörperlich zusammen. Stück für Stück, fremdgesteuert roboterhaft legen sie sich die Stücke auf den Rücken, stopfen sie in die Kleidung, stecken sie doch heimlich in den Mund, was Lacher im Publikum evoziert. Zu hämmerndem Fabrikhallenklang (Musik: Hendrik Kühling) arbeiten die zwei Frauen sich ab. Nix da mehr mit süßen Stücken; es gilt die Lust zu unterdrücken! Als sie sich am Ziel des verordneten Genussverzichtes wähnen, flippen sie als synchrone Boogie-Woogie-Sugargirls umher. Doch dieser zweimalige szenisch-musikalische Bruch wird choreografisch und mimisch nicht beglaubigt. Hier könnten die Performerinnen ihrem Affen ganzkörperlich mehr ´Zucker´ geben. Denn ihre Gelüste haben sie noch lange nicht besiegt. Sie starren auf den bunten Bonbonberg im Vordergrund.

Die Gier lebt auf. Spannungsvoll in tief gekippten Attituden zieht es sie frontal wieder und wieder zum verbotenen Schatz. Das spielen die Protagonistinnen groß und intensiv aus. Später gibt es einen Zuckerzauber-Zweikampf im Pro und Contra. Entzugsneurosen in der Stille, Manipulationen und erneute Begehrlichkeiten. Das Knistern des Bonbonpapiers mischt sich mit dumpfen Schlägen. Glücklich liegt Sinja Maucher auf dem süßen Haufen, ihre Hände greifen das Papier. Wolliger Knisterklang. Noch einmal suchen die Frauen der Last der Versuchung zu widerstehen, tragen den Zuckerberg in ihrer Kleidung ab, zerstören die süßen Pfade. Jedes Bonbonstückchen, das auf den Rücken gelegt oder in die Taschen gesteckt wird, wird sinnbildlich dem Körper einverleibt. Die Protagonistinnen verausgaben sich in diesem Kampf zwischen sinnlichem Genuss und Selbstbeherrschung. Doch die reizvolle Spannung verliert sich.

Nach 50 zunehmend langen Minuten steht die Versuchsanordnung fast auf Anfang. Wieder nimmt Annekatrin Kiesel Witterung auf. Da schiebt ihre Mitstreiterin eine Marzipantorte herein. Das Finale wird sofort erahnbar. Synchron beginnen die Frauen vorsichtig zu kosten. Starren Blicks greifen die Finger immer tiefer in die Sahne, schaufeln die Hände sich und der anderen das süße Gift in den Mund. Nach dem Exzess heben beide ihre Hände ins warme Licht. Sie haben verloren, was soll's. 
 

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