koeglernews 18

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Stuttgart, 12/08/2011

Ein Brocken, diese 3-DVD-Box mit den Produktionen „Körper / S / noBody“ von Sasha Waltz; bei Arthaus Musik (107 507): Ein sehr harter Brocken sogar – und zwar sowohl für die beteiligten 25 Tänzer der Berliner Company Sasha Waltz & Guests, die bis ans Äußerste ihrer Grenzen (und darüber hinaus) gefordert werden, als auch für die Interessenten und Konsumenten dieser Edition. Letztere tun gut daran, sich in den ersten beiden Discs beigegebenen Interviews des Bonus Materials vorab zu informieren, worum es in diesen Produktionen geht (die dritte Disc ist in dieser Hinsicht weniger hilfreich). Die veröffentlichten Texte liefern wenig mehr als Stichworte – eigentlich hätte man sich ein komplettes Buch (mit Fotos) über das Entstehen dieser drei Arbeiten gewünscht.

Die erste, „Körper“, entstand 2000 im noch unvollendeten Berliner Jüdischen Museum und befasst sich mit der „Hülle und dem Inneren des menschlichen Körpers … und dem Traum vom perfekten Körper“. Im Mittelteil „S“ stehen Sexualität und Eros thematisch im Zentrum. Und im Finale des dreiteiligen choreografischen Zyklus, „noBody“, werden wir konfrontiert „mit den Gefühlen, die die Erkenntnis der Sterblichkeit in uns auslöst“.

Sind die ersten beiden Teile noch halbwegs verständlich und bieten sie choreografische Arrangements von Soli und Gruppen, die durch ihren architektonischen Aufbau und ihre Struktur eine eigene Schönheit kommunizieren, so muss ich gestehen, dass „noBody“ für mich einem Chaos gleicht, das ich nicht mehr durchdrungen habe, das in mir indessen große Beklemmung und Assoziationen an Guantanamo, Tsunami, den Duisburger Love-Parade-Tunnel und Fukushima ausgelöst hat (es entstand 2002 für das Festival von Avignon, also vor meinen Assoziationen). Ich habe größte Bewunderung für das Engagement und die völlige Selbstentäußerung, mit denen sich die Tänzer in die Waltzsche Choreografie gestürzt haben, und es ist mir ein Rätsel, wie diese kontorsionistischen Bewegungssequenzen überhaupt entstehen konnten und von den Tänzern erinnert werden, aber es entspricht so ganz und gar nicht meiner Ästhetik – schon gar nicht der vom Ballett, aber auch nicht der vom Tanztheater, dass ich mir nicht vorstellen kann, mir diese drei Filme nochmals anzusehen. Im Grunde handelt es sich wohl um Recherchen zu den gestellten Themen – also Vorarbeiten zu dem, was einen Theaterabend – nach meinem konservativen Theaterverständnis – ausmacht. Ich halte das für einen Irrweg. Nachtrag: Beste Klassikerproduktion: zu der nominierten „Illusionen wie Schwanensee“-Produktion ist wohl auch die bei uns erst peu à peu bekannt werdende Produktion von „Giselle“ nach dem Pariser Autograf aus den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts beim Pacific Northwest Ballet in Seattle zu nennen (siehe koeglernews 17).

Und zu „Deutscher Geschichtsunterricht à la française“: Laure Guilbert legt Wert darauf, dass sie in Lille Geschichte und Literatur studiert hat, dann am Istituto Universitario Europeo in Florenz ihre Doktorarbeit in Geschichtswissenschaft gemacht hat, aus der das Taschenbuch „Danser avec le IIIe Reich – Les danseurs modernes sous le nazisme“ hervorgegangen ist, das 2000 bei den Editions Complexe in Brüssel erschienen ist.

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