Anastasia Kolegova in "The Russian Dance"
Anastasia Kolegova in "The Russian Dance"

Höhen und Tiefen des Mariinsky

Zur Gala in Baden-Baden

Baden-Baden, 28/12/2011

Die Gala zum Abschluss des Mariinsky-Gastspiels im Festspielhaus stand dieses Jahr wohl unter einem ungünstigen Stern: so wurden verletzungsbedingt gleich die ersten beiden Stücke gestrichen, unter anderem die Rekonstruktion des Pas de deux aus „Le Papillon“ (choreografiert im Jahr 1860 von der ersten Sylphide Marie Taglioni) durch Pierre Lacotte, die ein wenig stilistische Abwechslung in den sehr „Scheibentutu“-lastigen Abend gebracht hätte. Überhaupt zeichnet sich das Mariinsky-Ballett normalerweise durch ungewöhnliche Gala-Zusammenstellungen aus, in denen nicht einfach technische Bravourstücke des 19. Jahrhunderts aneinandergereiht werden, aufgemischt durch einige modernere Pas de deux aus der Gala-Repertoirekiste.

Dieses Jahr wurde es unter anderem durch den Ausfall der Eingangsstücke zu genau so einer Gala, deren Programm sich wie ein Variationenverzeichnis des Prix de Lausanne liest: Schwanensee, Don Quichotte, Grand Pas Classique, ein „russischer Tanz“ von Vladimir Vasiliev, ebenfalls im Scheibentutu und mit vielen Bourrés à la „Raymonda“ und schließlich „Paquita“, das Ganze dann ergänzt durch einen „Sterbenden Schwan“, Christian Spucks „Grand Pas de deux“ und einen Pas de deux von Benjamin Millepied (der im Programm als einziger Choreograf mit einer Doppelseite geehrt wird) aus dem Ballett „Without“. Letzterer Pas de deux wirkt nicht nur wegen der Chopin-Musik wie eine Nachdichtung von Jerome Robbins’ „In the Night“ – nur ohne die Emotion und den choreografischen Einfallsreichtum.

Eine fast ausschließlich technikbetonte Gala also, wie sie nur ganz wenige Kompanien weltweit auf höchstem Niveau darbieten können. Das Mariinsky-Ballett gehört selbstverständlich dazu. Umso erstaunter ist man über das Ergebnis: überall sieht man hohe Beine und Développés à la seconde auf 180°, doch die hohe Tanzkunst, die Leichtigkeit und der mühelose, elegante Stil, für den das Mariinsky-Ballett berühmt ist, blitzen nur gelegentlich auf. Was nützt dem Zuschauer eine noch so ungewöhnliche Kombination von Fouettés und Tours en Attitude devant und derrière, wenn es an vielen Stellen an Grazie und Stilbewusstsein mangelt? Und auch die Technik ist nicht immer makellos: in den größtenteils routiniert und korrekt dargebotenen Variationen sieht man hie und da wacklige Balancen, mangelnde Standfestigkeit auf Spitze, steife Oberkörper und Tours de force, die selten wirklich spektakulär wirken. Man vermisst nicht nur herausragende männliche Solisten, sondern vor allem Ballerinen wie Viktoria Tereshkina, Ekaterina Kondaurova, Olesya Novikova und Evgenia Obratzsova, die in den letzten Jahren in den stets exzellenten Festspielhaus-Galas mit ihrer technischen Souveränität und Stilsicherheit glänzten. Auch die noch am Vortag in „Don Quichotte“ tanzenden Stars Alina Somova und Vladimir Shkylarov und Primaballerina Diana Vishneva waren wohl schon wieder nach Petersburg abgereist.

So oblag es einmal mehr Ulyana Lopatkina, den Abend kurz auf das allerhöchste Niveau zu heben. Sie trat in zwei Stücken auf, in denen sie auch bereits in den letzten Jahren zu sehen war: Christian Spucks „Grand Pas de deux“, in dem sie als brillentragende Handtaschenfetischistin die Zuschauer zum Schmunzeln brachte, und der Grand Pas aus „Paquita“. Man wünschte nur, sie hätte auch ihren exquisiten „Sterbenden Schwan“ gezeigt, der an diesem Abend in anderer Besetzung recht kühl manieriert dargeboten wurde. Lopatkinas Präzision wird unter anderem in ihren hochmusikalischen Fouettés offensichtlich und auch sonst hat sie alles, was eine große Mariinsky-Ballerina auszeichnet: Eleganz, Leichtigkeit, Epaulement, lange, zarte Glieder und eine Ausstrahlung und Klasse, die den Zuschauer das Zählen von Pirouetten vergessen lassen (und hier hätte man ruhig zählen können!). Auch ihr Partner Danila Korsuntsev zeigte sich in Hochform: mal dezent humorvoll in Spucks „Grand Pas de deux“, mal scheinbar mühelos pirouettierend in „Paquita“. Auch wenn der Grand Pas mit der ungekrönten Königin Lopatkina einen sehr schönen Abschluss des Abends bildete, fragt man sich: warum dieser qualitative Abstand zu den vorhergegangenen Stücken? Denn daran, dass das Mariinsky zu mehr fähig ist, besteht glücklicherweise kein Zweifel.

www.festspielhaus.de

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