Ein Theaterabend, fast zu schön, um wahr zu sein

Bellinis „Norma“, avisiert aus der Nijinsky-Perspektive

oe
Zürich, 09/03/2011

„Norma“, Tragedia lirica in zwei Akten von Vincenzo Bellini, Jahrgang 1831 – Inbegriff der Belcanto-Oper. Gesang ist alles. Inszenierung, Bühnenbild und Lichtkonzept: Robert Wilson, der amerikanische Allround-Theatermann. Kein Tanz, kein Ballett. Und doch bis in die Fingerspitzen choreografiert. Die Personen berühren niemals einander. Bewegen sich silhouettenartig, vor ständig changierenden Lichthintergrund. Erinnern ein bisschen an Nijinskys Faun – in den hoheitsvollen Roben von Moidele Bickel meist in Zeitlupe, wie im japanischen Kabuki. Alles ist vollkommen ästhetisiert, stilisiert, sehr cool, vollkommen abstraktes Theater. Die wenigen Bewegungen wie ausgezirkelt – wie seinerzeit von Lucinda Childs, hier nun in der Co-Regie von Gudrun Hartmann.

Während des Vorspiels, auf den Vorhang projiziert, ein großer weißer Kreis mit schwachem Schatten. Dann, weiter hinten, ein zweiter. Schließlich ein pfeilartiger Lichtstrahl, der den ersten Kreis durchbohrt. Sieht aus wie eine der Nijinsky-Zeichnungen aus Neumeiers Hamburger Sammlung. Dann zum Auftritt der en bloc komprimierten Krieger eine helle Wand, ein Streifen mit Rundungen die, wie Augen aussehen. Acht in einer Reihe. Fünf Reihen, die aus dem Schnürboden abgesenkt werden. Auch diese friesartigen Bänder könnten aus der Hamburger Ausstellung mit den frühen Nijinsky-Abstraktionen stammen. Eine Inszenierung in deren Tradition? Leider nicht! Die Nijinskysche Großzügigkeit und Großformatigkeit wird aufgedröselt durch allerlei keltische mythologische Bezüge – Tiere vor allem. Die Bildwirkungen vor den ständigen Farbwechseln sind stupend – die ausgesparten Bewegungsführungen zu zweit in absoluter Symmetrie (die beiden Kinder) wirken auf die Dauer eher manieriert – eine Marotte.

Gleichwohl: die Aufführung beeindruckt durch ihre Strenge. Und den Freiraum, den sie der Musik zu ihrer Entfaltung überlässt. Der Dirigent Paolo Carignani atmet mit dem Gesang der Sänger, als die namentlich Elena Mosuc (Norma) und Michelle Breedt (Adalgisa) die Hohe Schule des Koloraturgesangs praktizieren, während die Chöre (einstudiert von Ernst Raffelsberger) ihre „Guerra, guerra“-Drohungen furchterregend in den Raum schmettern. Ein Theaterabend, fast zu schön, um wahr zu sein!

 

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