Das Stuttgarter Modell

... oder der Anti-Aging-Effekt einer zielgerichteten Ballett-Politik

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Stuttgart, 30/06/2011

Fünfzig Jahre alt, die Midlife-Krise bereits hinter sich, präsentiert sich das Stuttgarter Ballett am Ende seiner Jubiläums-Spielzeit in seiner ersten Theaterhaus-Premiere „Das Gast/Heimspiel“ ohne auch nur das mindeste Anzeichen, nunmehr bereits zum Establishment zu gehören – und auch keineswegs sommermatt. Im Gegenteil, wie um erneut zu beweisen, dass Kreativität das Markenzeichen seiner Identität ist – weltweit gefeiert als Nummer eins hinsichtlich der Entdeckung junger Choreografen. Und so stehen auch an diesem lauthals und ausdauernd bejubelten Abend zwei veritable Uraufführungen auf dem Programm – ausgerechnet von den sich damit von Stuttgart verabschiedenden Tänzern Bridget Breiner und Douglas Lee – neben dem inzwischen zum Stuttgarter Hauschoreografen avancierten (und in der ganzen Welt gefragten) Marco Goecke und dem gerade mal 25 Jahre alten argentinischen Jungspunt Demis Volpi, die sich bestens behaupten neben Altmeister Hans van Manen, stets gern gesehener Gastchoreograf in Stuttgart als einer der Großen des zeitgenössischen Balletts im Gegensatz zu seinen Kollegen vom Tanztheater.

Auf der Bühne: die Exzellenzen-Elite der Stuttgarter Tänzer, angefangen von Alicia Amatriain bis zu Alexander Zaitsev, inklusive Katja Wünsche, Laura O'Malley, William Moore und Evan McKie sowie die kürzlich in Toronto preisgekrönten Elisa Badenes und Daniel Camargo und natürlich, nicht zu vergessen, Stuttgarts Superstar Friedemann Vogel und die bereits in den Startlöchern stehenden Senkrechtstarter von morgen. Große Genugtuung also beim saisonalen Finale der Stuttgarter nach dem anstrengenden Jubiläums-Marathon – so jugendknackig und energiegeladen wie man es sich selbst bei seinem Fünfzigsten gewünscht hätte, der nun schon so lange zurückliegt, während man bereits seine Alzheimer-Vorboten kultiviert.

Ballett also als langfristigste Jugendlichkeitsversicherung! Dass man den Ballettmeistern empfehlen möchte, sie sollten ihren Kollegen, den Doctores sen., Entwicklungshilfe leisten. Denn dann könnte das Stuttgarter Beispiel zum Modellfall einer demografischen Rejuvenierungspolitik werden. Wenn wir im Vorjahr weltweit das hundertjährige Jubiläum der Ballets Russes von Diaghilew und mithin den Beginn der Ballettmoderne feierten, so fragen wir uns heute, wo denn das Stuttgarter Ballett wohl im Jahr 2061 stehen wird. John Cranko und seine Stuttgarter Equipe haben jedenfalls allen Anlass, aus ihren himmlischen Höhen stolz auf ihre lokalen Nachkommen am Neckar herabzublicken!

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