„Tanz“ statt „europe‘s leading dance magazine“

„das neue Magazin für Ballett, Tanz und Performance“

oe
Stuttgart, 01/02/2010

Voilà! Zwei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung „gehen die Zeitschriften ‚Tanzjournal‘ und ‚ballettanz‘ gemeinsame Wege“ – beginnen ihre große Retrospektive mit der demnächst hundertjährigen englischen „Dancing Times“, vergessen auch die neuesten Online-Entwicklungen à la „tanznetz“ nicht, übersehen allerdings, was inzwischen in Amerika alles auf den Markt gelangt ist (und in Deutschland im abgelegenen fränkischen Schweinfurt). Damit in Downing Street keinerlei neue Thatcher-Ängste vor dem Europa-Anspruch der Deutschen aufkommen mögen, nennt man sich ab Februar bescheiden „Zeitschrift für Ballett, Tanz und Performance“. Und verteidigt wird der Tanz nicht am fernen Hindukusch, und nicht einmal in Schlingensiefs Burkina Faso, sondern in Berlin, gleich beim Bundeskanzleramt um die Ecke, in der Knesebeckstraße. Und auch dort wird die Politik von einer Koalition aus einer Frau und zwei Männern bestimmt. Von einer „linken“ Opposition aus Frankfurt-Hellerau ist nichts bekannt.

Versprochen werden keine „blühenden Landschaften“, sondern lediglich die Hinwendung „an das engagierte und interessierte Tanz-Publikum – und natürlich ausdrücklich an Tänzer, Choreographen und Pädagogen“ – wobei die Rückkehr zur Choreographie mit ph auffällt. Soweit so gut. Abzuwarten bleibt, ob denn im neuen „Tanz“ mehr brutto Tanz drin ist als im alten, kopflastigen „ballettanz“. Der Verleger kündigt immerhin an, die „erfreuliche Entwicklung zu einer „größer, professioneller und vielfältiger gewordenen Tanzwelt“ zu unterstützen.

Eine Einbuße an optischer Layout-Qualität ist jedenfalls nicht zu registrieren. Die einzelnen Kapitel sind dem chinesischen Künstler Ai Weiwei, der Nürnberger Tanzplattform, Rasta Thomas von der Pop-Ballettrevue „Rock the Ballet“ und Monacos „Frühlingsopfer“ à la Nijinsky/Hodson/Archer gewidmet, bevor sodann als „Menschen“ Tero Saarinen und persönlich William Forsythe, Christian Spuck und Georgette Tsinguirides vorgestellt werden (immerhin gehören auch Valentina Savina und Alexander Chmelnitzky zu den „Menschen“, über deren doch recht merkwürdige Befreiung „von allen Ballettmeisterpflichten für das Staatsballett Berlin“ berichtet wird, mit dem Hinweis, dass die Intendanz „keine Stellungnahme zu Personalangelegenheiten abgibt“).

Novitäten werden kommentiert aus Gera, Kiel, Mainz, Osnabrück, Lüttich, Amsterdam, Wien, Moskau und Prag. Neue Bücher über Rolf de Maré, Vladimir Malakhov, Anna Halprin und Igor Strawinsky werden in den „Medien“ vorgesellt. Dann, wie gesagt, geht‘s auf sechs Seiten um die Frage „Warum gab und gibt es Tanzzeitschriften?“, bevor sich Anke Euler mit den Vermutungen der Hirnforscher „Warum wir tanzen“ befasst. Und damit sind wir auch schon auf Seite 66 (von insgesamt 80 Seiten) angelangt, wo sich Jacalyn Carley in einem Vorabdruck aus ihrem Buch über Royston Maldoom mit den „umstrittenen Thesen“ des berühmten britischen Tanzpädagogen („Rhythm Is It“) auseinandersetzt.

Das wär‘s denn also zum Neubeginn – wir sind gespannt, wie‘s weitergeht! Obenan steht auf unserer Wunschliste, dass es in Zukunft ein Jahresregister geben möge, wie es andere Zeitschriften (etwa die im gleichen Verlag erscheinende „Opernwelt“ oder das ehemalige „tanzjournal“) selbstverständlich liefern – und das auch nicht durch den Verweis auf das sicher verdienstvolle neue „kultiversum“ im Internet ersetzt wird. Und noch schöner wäre es, wenn sich die Redaktion zur Rückkehr auf die früher von Hartmut Regitz so vorbildlich betreute Dokumentation der jeweiligen Spielzeit entschließen könnte.

 

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