koeglernews 14

Was nicht in den deutschen Zeitungen steht

oe
Stuttgart, 28/07/2010

Ja, das waren noch Zeiten, als sich Opernintendanten vehement für das Ballett an ihren Häusern eingesetzt haben! Ich denke an Oscar Fritz Schuh Anfang der sechziger Jahre in Köln. Oder an Hans Hollmann, der in den Siebzigern Heinz Spoerli nach Basel geholt hat (eigentlich hätte damals ja Arno Wüstenhöfer lieber Pina Bausch von Wuppertal mitgebracht – aber daraus wurde dann nichts: kein Wüstenhöfer, keine Pina Bausch in Basel), Grischa Barfuss in Wuppertal und, natürlich, Walter Erich Schäfer, der den damals in Deutschland völlig unbekannten John Cranko nach Stuttgart engagiert und dort gegen mancherlei Widerstand durchgesetzt hat.

Und heute? Haben sich ein paar der Ballettdirektoren ihren Intendantenposten selbst erkämpft: Malakhov in Berlin, Neumeier in Hamburg, Anderson in Stuttgart – und Liška in München steht wohl kurz davor (er sollte die Gelegenheit benutzen, besonders nachdem der Münchner Staatsopernintendant in letzter Zeit arg in die Bredouille geraten ist). Immerhin weiß Martin Schläpfer in Düsseldorf/Duisburg den dortigen Opernintendanten Christoph Meyer hundertprozentig hinter sich. Erwähnenswert finde ich auch, wie Gerd Uecker, der nach sieben Spielzeiten als Intendant der Dresdner Semperoper das Haus verlässt, in einem ausführlichen Interview im Juli-Heft des „Semper!“-Journals das Ballett zu seiner „Herzensangelegenheit“ erklärt. Und voller Genugtuung habe ich gelesen, dass er überzeugt davon ist, dass sich die Oper ästhetisch in einer Krise befindet, „weil sie sich zu 90% auf die Re-Interpretation vorhandener Werke bezieht. Wohingegen der Tanz ein weitaus kreativeres Potential als die Oper zeigt …

Als Kunstgattung wird der Tanz schon allein dadurch nicht verschwinden, dass er ein essenzielles Ausdrucksmittel des Menschen war, ist und bleibt. Und was das kreative Moment angeht, ist der Tanz eine unglaublich freie Kunstgattung, wenn nicht sogar die freieste!“ Ob das wohl die Mehrzahl seiner Kollegen unterschreiben würde? Im Allgemeinen dienen mir die koeglernews ja zur Übermittlung von Nachrichten, die ich in irgendwelchen ausländischen Zeitschriften aufgegabelt habe. Umgedreht ist mir aufgefallen, wie die Zeitung, die ich nicht zuletzt wegen ihrer ausgedehnten Kulturberichterstattung für Deutschlands beste Tageszeitung halte, mit keinem Wort auf das Desaster eingegangen ist, das die Neumeiersche Einstudierung seiner „Kameliendame“ beim American Ballet Theater in New York erlitten hat – zumindest in dem Totalverriss der „New York Times“, aber auch die anderen amerikanischen Kritiker waren nicht viel freundlicher (sehr im Gegensatz zum Publikum, das die Vorstellungen offenbar gestürmt hat). Nur in der „Welt“ habe ich einen diskreten Hinweis auf den New Yorker Flop gelesen – aber nicht einmal die Hamburger Gazetten haben darüber berichtet. Man stelle sich vor: dass ein Botho Strauss am Broadway aufgeführt würde (wird er aber nicht), wie dann unsere Topkritiker eigens über den Atlantik gedüst wären. Vielleicht sind ja auch die schlechten Erfahrungen schuld an dieser Situation und Neumeier kann sich damit trösten, dass es Luc Bondy nicht besser ergangen ist, als er jetzt erstmals an der Met inszeniert hat („Tosca“, die dann allerdings bei ihrer Übernahme ins Münchner Repertoire nicht glimpflicher davongekommen ist).

Übrigens ist die amerikanische Skepsis gegenüber Neumeier (seit der Einstudierung seiner „Hamlet Connotations“ immerhin mit Baryschnikow, Kirkland, Haydée und Bruhn 1976 beim ABT) kein New Yorker Einzelfall. Was lese ich da in der danceviewtimes über die Produktion seiner „Little Mermaid“ beim San Francisco Ballet: „The audience rose to a prolonged standing ovations. The dancers had performed superbly. The production is spectacular. The story of unconditonal love is touching. San Francisco Ballet has a hit on its hands. What it doesn’t have is a first rate ballet. John Neumeier‘s ‚The Little Mermaid‘… has so much going for itself that it isn’t better than it is.“ Wie denn das? Ein Ballett, für das so viel spricht – schade nur, dass es kein besseres Ballett ist! Moskau scheint da anderer Meinung zu sein, denn es hat die „Kleine Meerjungfrau“ für die Februar-Premiere beim Bolschoi-Ballett eingekauft.

Aber dann macht man sich so seine eigenen Gedanken, wenn in der FAZ die Stuttgarter Balletturaufführungen etwa nicht nur von Goecke und Spuck, sondern selbst von Elo und dem heute international höchst-gehandelten McGregor ignoriert werden. Wenn dort nichts zu lesen steht über die Japan-Programmatik der diesjährigen Hamburger Ballett-Tage mit der Uraufführung der Neumeierschen „Fließenden Welten“ und dem Tokyo-Ballett-Gastspiel. Wohingegen für ein offenbar nicht einmal sonderlich ergiebiges Programm junger Nachwuchschoreografen in Karlsruhe Platz für einen großen Zweispalter zur Verfügung steht.

Nun haben wir natürlich alle unsere Favoriten – und unsere Vorurteile (die meinen heißen, die regelmäßigen User des koeglerjournals haben es sicher schon längst gemerkt, Jacopo Godani und Richard Wherlock, die ich beide für provozierend unmusikalisch halte). Aber es ist doch etwas anderes, finde ich, ob ich mir in meinem Internet-Blog (so heißt das ja wohl heute) meine private Meinung leiste, oder ob ich in einer großen Tageszeitung eine Informationsverpflichtung zu einer halbwegs ausgewogenen Berichterstattung habe. Und für außerordentlich bedenklich halte ich es, wenn sich die FAZ die auf eine einzige Kritikerpersönlichkeit bezogene ausschließliche Deutungshoheit anmaßt, die allein darüber zu entscheiden hat, ob sie sich lieber eine Vorstellung in Paris oder in Koblenz ansieht (oder aus Rom wegen der plötzlichen Absage eines Termins über einen Spaziergang auf der Via Veneto berichtet).

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