Tanzen wie vor 400 Jahren

Gesellschaftstänze aus historischen Quellen beim Renaissance- und Frühbarockfestival in Bad Rappenau

Bad Rappenau, 29/10/2009

Denken wir an die Renaissance, fallen uns klangvolle Namen großer Maler ein, von Bosch und Botticelli über Dürer bis Veronese. Dass der Tanz in jener Epoche eben so geschätzt und gepflegt wurde, ist komplett in Vergessenheit geraten. Namen und Werke großer Tanzmeister wie Rinaldo Corso, Fabritio Caroso, Cesare Negri, Lutio Compasso und Ercole Santucci oder den Tanz-Chronisten Thoinot Arbeau kennen heute nur wenige Spezialisten. Doch je mehr alte Manuskripte und Tanzschriften aus Archiven auftauchen, desto größer die Lust, diese Tänze zu rekonstruieren und mit passender Musik zu tanzen. Neben verschiedenen Musikprogrammen und einer Ausstellung alter Instrumente bietet das erste Renaissance- und Frühbarockfestival im Wasserschloss Bad Rappenau auch zwei historische Tanzkurse unter Leitung von Nicoline Winkler an. Die promovierte Philologin (Romanistik, Anglistik, Sprach- und Literaturwissenschaften) aus Heidelberg gehört zu den Expertinnen des historischen Tanzes.

„Le Bal – Gesellschaftstänze des Frühbarock“ lautet der Kurs für Fortgeschrittene, der sich auf die faksimilierte Tanzschrift eines Anonymus stützt: „Instruction pour dancer les dances cy apres nommez“ (Anleitung zum Tanzen der nachfolgend genannten Tänze). „Das Repertoire gründet fast durchweg auf Melodien, die in der ‚Terpsichore’ von Michael Praetorius aus dem Jahr 1612 überliefert sind“, erläutert Winkler. Sie hat Bourrée, Pavane d’Espagne, Passepieds, Gavotte und Branles-Suiten sowie die beschriebenen Paar- und Rundtänze für „Damoiselles“ und „Gentilhommes“ vermöge der Musik und in langjähriger Beschäftigung mit der Quelle rekonstruiert. Musikalische Basis für den Kurs ist die Zusammenarbeit mit dem Ensemble „I Ciarlatani“, das maßgeschneiderte Stücke für ausgewählte Tänze der „Instruction“ eingespielt hat. Manche Chassées und Passepieds wirken sehr elegant, andere Schritte eher skizzenhaft. Wiederholungen dominieren in der Musik wie in den Schrittfolgen, wirken beruhigend. Ändert sich das tonangebende Melodieinstrument, signalisiert das den Partner- oder Richtungswechsel. „Es gab viele Gesellschaftstänze, aber nur wenige sind überliefert“, so Winkler. So sei La Chiaranza ein technisch relativ anspruchsloser, dennoch beliebter italienischer Gesellschaftstanz gewesen, da man mit vielen Mittänzern Kontakt aufnehmen konnte.

Bei der Gaillarde hingegen konnten die Herren mit Sprüngen exzellieren. Zudem wurde auf einem „Bal“ galantes Auftreten geübt. Damen waren angehalten, beim Tanzen nichts zu verlieren (wie Gräfin von Salisbury ihr legendäres Strumpfband, das in England zur Stiftung des Hosenbandordens führte). Herren sollten sich ihre Handschuhe nicht mit den Zähnen von den Fingern reißen. Amüsant eine Anmerkungen, die die kulturelle Differenz thematisiert: Beim „Danse de Chandellier“ (Tanz mit Kerzenständer) wurde bei der Reverenz am Ende der Dame eine Blume überreicht. Durfte der Italiener nur symbolisch die Blume küssen, war dem Franzosen erlaubt, der Dame ein Wangenküsschen aufzuhauchen.

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