Public Movement Israel

„Also Thus“ vor dem Berliner Olympiastadion

Berlin, 27/06/2009

Israels Tanzszene ist vielfältig und sehr eigen. Anders als in Europa und Russland ist dort die Tradition des klassischen Balletts kaum entwickelt, in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts kamen statt dessen viele deutsche und österreichische Ausdruckstänzerinnen, die ihre Kunst im fernen Palästina ausübten. Heute leben die unterschiedlichsten Formen des zeitgenössischen Tanzes in Israel, wie z.B. die beiden traditionsreichen Ensembles des Landes, die Batsheva Dance Companie und die im Kibbuz Ga’aton beheimatete Kibbuz Dance Company. Was Tänzer und Choreographen an Themen und Inhalten in ihrer Arbeit interessiert, wechselt, wie überall, über die Jahre; Phasen von starkem politischen Engagement wechseln ab mit dem Rückzug ins Private. War z.B. die in jüngster Zeit sehr erfolgreiche Choreographin Yasmeen Godder zwischen 2000 und 2006 mit ihrer politisch motivierten Arbeit eher die Ausnahme unter Israels Choreografen, zeigt sich in den letzten beiden Jahren eine neue Entwicklung.

Der Mediendesigner Omer Krieger und die Choreografin Dana Yahlomi haben sich vor drei Jahren zu einer Gruppierung zusammengetan, die sie ‚Public Movement’ nennen und die im öffentlichen Raum verwirrende Kunstaktionen in Szene setzt. Ihr erstes größeres Gruppenstück ‚Also Thus’ haben sie in Israel und verschiedenen europäischen Städten bereits gezeigt. Jetzt sind sie damit nach Berlin – und zwar direkt vor das geschichtsträchtige Olympiastadion. Es ist eine monumentale Kulisse – fast erschlagend. Der Eingang zum Berliner Olympiastadion mit dem Blick auf’s Halbrund, die Olympischen Ringe, die hochaufragenden Türme. Davor der leere Platz – illuminiert von brennenden Fackeln und gewaltigen Scheinwerfern, die einen kalten weißen Fleck schaffen in der aufziehenden Dunkelheit der windigen Nacht. Aufmarsch junger Männer und Frauen: akkurate weiße Blusen, weiße Röcke und Hosen, Turnschuhe. Im Gleichschritt ziehen sie ihre Bahnen über den Beton, nach Aufruf stehen sie stramm, zählen durch oder sagen hebräische Fahneneide auf. Als eine der Tänzerinnen quer über den Platz rennt, schießt plötzlich eine schwere Limousine nach vorne und rammt die Frau von der Seite; die Zuschauer zucken zusammen und erst, als sie nach einem kurzen, irritierenden Augenblick wieder aufsteht, erkennen alle, dass dieser Unfall nicht ‚echt’, sondern einfach gut choreographiert war.

Wie in jeder Performance im öffentlichen Raum ändert sich auch in dieser die Bedeutung von Handlungen und Zeichen je nach der Wahl des Ortes. Eine Choreografie, in der ein kurzer Hitlergruß in die Tanzbewegung einer Boygroup übergeht oder erschöpfte Körper sich nach und nach aufeinander stapeln – solche Bilder müssen in Tel Aviv, in dessen Stadtbild die Folgen vieler Selbstmordattentate immer noch sichtbar sind, anderes interpretiert werden, als vor dem Stadion, in dem 1936 die Olympischen Spiele stattfanden. Den künstlerischen Leitern Omer Krieger und Dana Yahlomi geht es genau um diese Wechsel von Assoziationen.

Dana Yahlomi: „Hier, an diesem Ort, gibt es viele Momente in der Show, in denen man wirklich verwirrt ist. Es ist eine sehr reale Umgebung, für die Bewohner dieser Stadt ist es ein sehr bekannter, bedeutungsvoller Ort – das macht unsere Performance auf eine gewisse Weise schwerer. Alles ist mit viel mehr Bedeutung aufgeladen. Das konnte man deutlich während der Aufführung an der Reaktion des Publikums merken. Und zugleich wird die Performance dadurch kraftvoller – und das ist das, wonach wir suchen. Alles, was man an einem Ort wie diesem automatisch hat – die Bedeutung, die Geschichte, die Energie – all das integrieren wir in unsere Zeremonie. Im Grunde ist sie für solche Orte wie diesen gemacht.“ Die Gruppe Public Movement versteht ihre Arbeit als Konfrontation mit Prozessen wie versteckter Gewalt, Ent-Individualisierung und Kollektivbildung – Themen, die nicht allein, aber auch und vielleicht ganz besonders in Israel von Bedeutung sind. Die Auseinandersetzung mit ihrem Land betrifft dessen nationale und politische Erscheinungsformen – zugleich bewegt sie sich weit über Israel hinaus und ruft, laut Omer Krieger, ganz unterschiedliche Reaktionen bei den Zuschauern hervor.

Omer Krieger: „Wir haben sehr interessante Diskussionen, manchmal auch Streit und Konflikte mit den Leuten. Oft werden wir gefragt, seid ihr links oder rechts – wovon handelt diese Aktion, was soll sie bewirken? Was wollt ihr sagen? Wofür steht Ihr? Das sind die schwierigsten Fragen. Anstatt zu antworten frage ich dann immer zurück, z.B., ‚würden Sie Teil dieser Aktion werden wollen?’ Wir geben keine klare Antwort, weil wir keine haben. Und dann gibt es manchmal fast gewalttätige Reaktionen, die ich eigentlich einer ruhigen, harmonischen Zustimmung vorziehe, weil unsere Arbeit ja darin besteht, Fragen zu stellen und Konflikte zu provozieren.“ Was in Israel provoziert – z. B. wenn die Performer zu Musik der deutschen Band Rammstein miteinander kämpfen – macht in einem anderen Kontext die subtilen Mechanismen der Performance sichtbar. Denn genau wie Rammstein martialische Ästhetik und nationalistische Zeichen einsetzt, dabei aber in ihren Aussagen im gänzlich Uneindeutigen bleibt, sind auch bei Public Movement die Anspielungen auf politische und militärische Symbolik vielfältig und nicht genau entschlüsselbar. Ihre ritualisierten Aufmärsche und Bewegungen sind sowohl sozialistischen, kommunistischen und sogar faschistischen Zeremonien entlehnt. Die Mehrdeutigkeit wird auch durch die Wahl des Olympiastadions als Ort nicht aufgelöst – sie verändert sich nur. Kuratorin Stefanie Wenner: „Diese Kulisse – wir waren auch zusammen hier und haben uns das angeschaut und haben gesagt, ok, hier sollte die deutsche Rasse zelebriert werden, die arische Rasse und wenn man das hier zeigt – was sagt man dann eigentlich? Was stellen wir damit her? Stellen wir eine straighte Kontinuität her? Ist die Politik des Staates Israel heute die Fortsetzung der Politik Adolf Hitlers mit anderen Mitteln? Oder was sagt man eigentlich? Und dieses Aufeinanderprallen lassen von deutscher Geschichte und israelischer Gegenwart – wenn das Fragen aufwirft, dann reicht mir das schon.“

Omer Krieger und Dana Yahlomi vertreten eine subversive Haltung, in der sie Kritik und Affirmation gegeneinander setzen. So werden die gemeinschafts- und ideologiebildenden Rituale von ihnen zwar verfremdet und ironisiert, aber auch – in potenzierter Mehrdeutigkeit – wiederum zur Gemeinschaftsbildung benutzt: wenn am Schluss das Publikum zum Mittanzen eines israelischen Volkstanzes aufgefordert wird und sich Darsteller wie Zuschauer gemeinsam im Kreis drehen, verwischt die Grenze zwischen gezielter Provokation und freundlicher Verführung endgültig. „Also Thus“ wird noch einmal am Samstag, den 27. Juni 2009 um 22:00 vor dem Berliner Olympiastadion gezeigt.

Informationen zu weiteren Aktionen von Public Movement unter: www.hebbel-am-ufer.de

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