Sensibles Tellerminenfeld

Performance von Fabian Chyle in Stuttgart

Stuttgart, 22/01/2008

Zu den Umtriebigsten in der Stuttgarter Tanzszene gehört Fabian Chyle. Der Tänzer-Choreograf, der Erfahrungen aus Amsterdam, New York und San Francisco mitbringt, begibt sich mit seiner neuen Produktion auf ein vermintes Feld. „Territorial Inbalance“ titelt die Performance, zu der Chyle Konzept und Choreografie, Adrian Silvestri eine skulpturale Landschaft und Hans Peter Jahn die Dramaturgie beiträgt.

Einen Vorgeschmack auf das aus dem Gleichgewicht geratene Gefilde, das mit drei Tänzerinnen am Mittwoch, den 23. Januar 2008 im Stuttgarter Theater Rampe uraufgeführt wird, hat Chyle im Haus der Kunststiftung Baden-Württemberg gegeben. Chyle wie Jahn waren einst Stipendiaten dieser Stiftung. Ausgangspunkt ist ein grauer Wollteppich, dessen Fläche mit vier mal sieben Tontellern ausgelegt ist. Auf dieser, durch die leicht gewölbte Form der „Tonträger“ instabilen Grundlage, hat es sich der Tänzer bequem gemacht. Eigentlich unmöglich, liegt er dennoch relativ entspannt da. Er dreht sich auf eine Seite, verharrt wie schlafend, rollt vorsichtig, mal über den Rücken, mal über den Bauch auf die andere Seite, immer bedacht, die zerbrechlichen Objekte, die dem Körpergewicht nachgeben, nicht über Gebühr zu belasten.

Drumherum steht das Publikum, betrachtet - mit meditativer Gelassenheit - das sensible Körperexperiment. Ein Fuß tastet nach einem der Teller, eine Hüfte sucht Halt, der Kopf dreht sich, das Gesicht streift durch das flach geschwungene Gefäß. Während die unterschiedlichen Körperteile durch die sanften, lautlosen Bewegungen allmählich den geschmeidigen Umgang mit den 28 Tellern beherrschen lernen, verändern diese ihre Position. Streckenweise stellen sich die runden Tonstücke auf oder reiben geräuschvoll aneinander. Zwischen Subjekt und Objekt entwickelt sich eine geradezu intim wirkende Begegnung, die permanent spannend bleibt.

Chyles künstlerische Arbeiten sind innovative ästhetische Grenzüberschreitungen, die unterhaltsam und witzig-ironisch, gern auch die Spaßfraktion bedienen. Diese Arbeit überrascht durch Reduktion und Konzentration, der selbst das Gläserklappern und Geplapper der eintrudelnden Gäste im Hintergrund nichts anhaben kann. „Der Raum tut, als wäre er stabil. Tatsächlich weist er viele Instabilitäten auf“ erläutert Hans Peter Jahn die Sicherheit gefährdende Installation. Er bezieht sich auf diverse Elemente, die Adrian Silvestri eingebracht hat. So einzelne Teppiche, mit Buchstaben, die das Wort „Bombenteppich“ ergeben. Oder die schräge Wand aus transparent weißen Kanistern, mit der Silvestri den Raum teilt. Man möchte sich anlehnen, kann aber nicht, da die Wand sonst zusammenbrechen würde.

Jahn, der als Redakteur für Neue Musik beim SWR und als Leiter des Festivals Eclat bekannt ist, führt wortgewandt und detailliert in unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten der assoziativen Performance ein, um abschließend mit seiner Lesart herauszurücken: „Für mich ist es ein Antikriegsstück“. Da mag man dem Stück die (Spreng-)Kraft wünschen, die die Freie Tanzszene in der Stadt der Automobile dringend braucht, um aus dem Windschatten des Balletts herauszutreten und um – mit oder ohne Eklat – öffentliche Anerkennung zu finden.


Links: www.theaterrampe.de / www.fabianchyle.de

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