Raymondas römische Glanzhochzeit

Oksana Kucheruk und Robert Tewsley in Carla Fraccis neuer „Raymonda“ im Teatro dell’Opera di Roma

Rom, 27/03/2008

Es ist eines der weniger bekannten Juwelen aus der Schatzkiste der Petipa-Ballettklassiker: wie vom „Corsaire“, der als nächstes auf Petipa basierendes Stück auf dem Spielplan des römischen Teatro dell’Opera steht, gibt es von „Raymonda“ weltweit nur relativ wenige Versionen. Vom Original erhalten sind hauptsächlich Raymondas fünf Variationen und der Grand Pas, bis heute ein beliebtes Stück für Galas und Wettbewerbe. Vollständig überliefert ist hingegen Alexandre Glazunovs exzellente Musik, für die allein schon eine Neuproduktion ein lohnendes Unternehmen scheint.
So beschloss Carla Fracci, ehemalige Primaballerina und seit 2000 Direktorin des Balletts der Römischen Oper, das Stück für ihre Kompanie neu zu inszenieren. Unterstützt von der englischen Choreografin Gillian Whittingham, bezog sie sich weitgehend auf eine 1982 im Teatro dell’Opera aufgeführte Fassung des florentinischen Choreografen Loris Gai, in der Fracci selbst die Titelpartie getanzt hatte. Neu hingegen ist vor allem die Ausstattung von Raimonda Gaetani.

Und was für eine Ausstattung! An Prunk, Pracht und Farben wurde hier nicht gespart, weder im Bühnenbild (ein mittelalterlicher Palast mit riesigen Wappen, eine bunt befensterte Kirche, eine paradiesische südliche Landschaft), dessen Ästhetik manchmal an Trickfilme erinnert, in den oft raffinierten, aber zuweilen auch aggressiv bunten Kostümen der unzähligen Tänzer und Statisten. Eines der schwierigsten Elemente des Stückes ist das wenig ergiebige Libretto, das modernen Ansprüchen an ein Handlungsballett kaum genügt: In drei Akten wird hier ausführlich erzählt, wie Raymonda, eine mittelalterliche südfranzösische Gräfin, alle Mühe hat, der stürmischen Werbung des Sarazenenfürsten Abdurachman zu widerstehen, bis dann im letzten Moment ihr Verlobter, der Kreuzritter Jean de Brienne, aus dem Kreuzzug heimkehrt, Abdurachman im Duell tötet und schließlich Raymonda heiratet.

Pantomime und reiner Tanz sind in diesem Spätwerk Petipas streng getrennt, was dem an Cranko, MacMillan und Neumeier gewöhnten Publikum befremdlich anmuten mag. Aus diesem Grund haben Fracci und Whittingham, wie schon andere Choreografen (beispielsweise Nurejew) vor ihnen, die wichtigsten rein pantomimischen Rollen in teilweise getanzte umgewandelt. In den Rollen des Abdurachman und der weißen Dame, Beschützerin von Raymondas Haus, glänzten Solisten des Hauses: Mario Marozzi gab einen charismatischen, von echtem Gefühl durchströmten Abdurachman, und Gaia Straccamore war eine technisch solide, eher aktiv beschützende als visionshafte weiße Dame. Als weiteren Fokus der Aufmerksamkeit, die sich besonders zu Anfang der Akte im impressionistischen Farbgewirr zu verlieren drohte, schufen Fracci und Whittingham die Rolle des springenden und pirouettierenden Hofnarren, charmant interpretiert von Riccardo di Cosmo. Das tänzerische Herzstück des Balletts bildet jedoch zweifelsohne der Hochzeitsakt mit Grand Pas in schillerndster Petipa-Tradition, dessen höchste musikalische und choreografische Noblesse jeden Zweifel daran wegwischt, ob dieses Werk heute noch aufführbar ist.

Natürlich braucht dieses Glanzstück zur vollen Entfaltung seines Reizes auch Interpreten, die seiner würdig sind, und die fand es an diesem Abend ohne jeden Zweifel in den Gastsolisten Oksana Kucheruk, erste Solistin des Balletts der Oper Bordeaux, und Robert Tewsley. Die exquisite Oksana Kucheruk brillierte als Raymonda nicht nur durch exzellente Technik, Leichtigkeit, sehr hohe Beine und endlose Balancen, sondern bewies gleichzeitig auch eine Frische und Natürlichkeit im Spiel, die das Zuschauen zum reinen Genuss machten. Der souveräne Robert Tewsley verlieh der anfangs recht undankbaren Rolle des Jean de Brienne sowohl darstellerisch als auch tänzerisch ihr volles Gewicht: Nach einem wunderbar elegischen Pas de Deux in der Visionsszene triumphierte er erst als feuriger Duellant über Abdurachman, um dann im Grand Pas durch höchste technische Virtuosität zu begeistern. Sein großzügiger Tanz war von müheloser Eleganz und lupenreiner Präzision geprägt, von exzellenten Balancen und vollendeten Arabesken. Auch das Corps de Ballet der Römer Oper war an diesem Abend in guter Form, und vor allem in den halbsolistischen Rollen zeichneten sich einige interessante Persönlichkeiten ab. Wie schade, dass die Kompanie die derzeit nur zwei Etoiles zählt, nicht selbst mehr Solisten hervorbringt, die in den Hauptpartien der sehr ambitionierten Produktionen des Hauses glänzen könnten.

Wenn auch weniger – Farben, Statisten, Kostüme – hier sicher mehr gewesen wären (vielleicht ist es eine kluge Idee der Pariser, ab nächster Woche in einem gemischten Abend nur Ausschnitte aus Nurejews „Raymonda“ aufzuführen? Doch steht auch dort im Dezember nach langer Pause wieder die abendfüllende Fassung auf dem Spielplan), war es ein sehr unterhaltsamer Abend, in dem sich vor allem gegen Ende die choreografischen Kostbarkeiten häuften. Wie mag wohl der Römer „Corsaire“ aussehen?

 

Besuchte Vorstellung: 18.03.08 Rom, Teatro dell’Opera, www.operaroma.it©

 

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