Rappender Ballettprofi

Filmstart der Dokumentation „Dance for all“

Stuttgart, 12/09/2008

Disziplin, Engagement und Entschlossenheit: Der Busfahrer des Projekts „Dance for all“ will den Dienst quittieren. Er ist sauer über die Disziplinlosigkeit der ihm anvertrauten Tanzschülerinnen und –schüler, die er tagtäglich von zuhause abholt und abends wieder in ihren baufälligen Hütten abliefert. Engagement und Entschlossenheit nützen nichts, solange die Disziplin fehle. Die Kinder aus den Townships hören sich die Standpauke an, denn ihnen ist klar, der Weg zur Ballettschule ist ohne den Chauffeur zu gefährlich. Ohne ihn können sie ihren Traum von einer Karriere als Balletttänzer begraben, die gleichbedeutend ist mit einem besseren Leben.

Das ist eine der vielen kleinen Filmszenen, die sowohl den pädagogischen Elan der Initiatoren Phyllis Spira und Philip Boydin, als auch das Risiko und die Fragilität des Ballett-Projekts „Dance for all“ mitten in den Elendsvierteln Kapstadts aufzeigt. Die Ex-Primaballerina und ihr Mann haben 1991 eine Ballettschule gegründet, um jungen Menschen eine Lebensperspektive zu bieten. Am weitesten hat es Theo gebracht. Er war der erste Junge aus den Slums, für den „Dance for all“ zum Sprungbrett einer internationalen Ballettkarriere wurde. Zurück aus London wird er empfangen wie ein Star.

„Theo is back“ prangt neben seinem Portrait ein Schriftzug. Doch es erfüllt ihn nicht mit Stolz, eher ist er darüber verlegen, zumal er erkennt, dass die meisten seiner Freunde und Altersgenossen nicht mehr leben, sie sind Gewaltexzessen zum Opfer gefallen. Mit dem „Tanz für alle“ gelingt es dem Ehepaar Spira/Boydin innerhalb von zwölf Jahren, eine junge Kompanie aufzubauen; den mittellosen Schülern verhelfen sie zu Stipendien, sie sorgen für kostenlosen Transport und vermitteln für Begabte Auslandsstipendien. So begleitet das Filmteam Nqaba und Xosa bei ihrer ersten Auslandsreise zu einem sechswöchigen Workshop nach San Francisco.

Der Dokumentarfilm des Regieduos Viviane Blumenschein und Elena Bromund zeigt vor der Folie unzähliger Probleme – Alkohol, Drogen, Aids, Gewalt und noch immer die Folgen der Apartheid - die Erfolgsgeschichte der sozial- und tanzpädagogischen Aufbauarbeit, die in einer Tanzaufführung samt hymnischer Kritik gipfelt: der Auftritt wird mit dem Südafrika-Gastspiel des Nederlands Dans Theater verglichen. Ist der westliche Bühnentanz eine Lösung? Es scheint so, zumindest vordergründig. Da ist das Naturtalent Zandile, eine bezaubernde Tänzerin, die jedes Vorurteil Lügen straft, das behauptet, Schwarze könnten nicht Ballett tanzen, weil ihre Füße zu groß und ihr Hintern zu dick sei. In nur sechs Jahren hat sie sich zur Solistin emporgearbeitet, nun hofft sie auf eine internationale Karriere, spaziert mit dem Trendmagazin „Vanity Fair“ unterm Arm zum Training und schwärmt von Paris Hilton: „She is not my role model, just my fashion idol“. Vorbild sei ihre Lehrerin, die Primaballerina Assoluta Phyllis Spira.

Dramaturgisch zehrt die Doku vom Kontrast zwischen dem elitären Habitus des akademischen Tanzes inmitten der unüberwindlich scheinenden Armut, pendelt – dank formidabler Kameraführung von Franz Lustig - geschickt zwischen den Szenen im Tanzsaal und den Sequenzen aus dem Alltagsleben.

„Dance for all“ ist kein Tanzfilm im engeren Sinn. Genau das ist seine Stärke. Er lebt von der Emotionalität und Direktheit seiner Protagonisten, sowohl von der Schönheit und Harmonie ihrer Bewegungen als auch von der schonungslosen Offenheit, mit der sie über ihr Umfeld Auskunft geben. Zwar setzt er sich eingehend mit tanzspezifischen Themen auseinander, behandelt diese jedoch nicht isoliert, sondern stellt sie in einen kulturpolitischen Kontext und befasst sich mit gesellschaftlichen Widerständen. Statt auf den oft beschworenen Zusammenprall der Kulturen setzt er auf Dialog. Nicht nur die Standards des Klassischen Tanzes gelten, auch das kulturelle Erbe Afrikas wird ansatzweise einbezogen: bereits Zweijährige tanzen zu pulsierenden Trommelrhythmen. Die Filmmusik der Experimentalmusiker Rudi Moser und Christian Meyer ist ein beeindruckender Mix authentisch südafrikanischer Klänge mit westlicher Klassik und Hip-Hop.

Fazit: Das Ballett ist eine Zuflucht mit klaren Zielvorgaben und der Berufsperspektive klassischer Tanz. Die Bühne ein Ort, an dem sich die Idee vom besseren Leben festmacht, die sich aber in der Lebenswirklichkeit beweisen muss. Am meisten überzeugen im Film deshalb nicht die Bühnenauftritte, sondern jene Szenen, in denen die Rückbindung in die eigene Lebenspraxis gelingt. Wenn beispielsweise Miss Happy mit ihren Freundinnen am helllichten Tag über die staubige Straße von Cape Town tanzt. Unisono legen die drei Teenager eine kleine beschwingte Choreografie hin und man spürt die klassisch geschulte Haltung, die von einem Gefühl jugendlicher Lebensfreude dominiert wird. Oder Nqaba, der Ballettprofi, dem die Tanzwelt nach dem ersten Bühnenerfolg zu eng wird. Kaum wiederzuerkennen rappt er plötzlich, erzählt zu harten Beatz, was ihm das Ballett bedeutet.

Der Film, von Arte und ZDF koproduziert, wurde auf zahlreichen Festivals mit großem Erfolg gezeigt. Nach der Weltpremiere am 22. Juli 2007 in Cape Town gewinnt er bei den 41. Hofer Filmtagen den Kodak Eastman Förderpreis. Jetzt läuft er in deutschen Kinos. Absolut sehenswert.

 

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