koeglernews 9 - Der Sommer unseres Missvergnügens

Wenig Erhellendes aus Berlin, Düsseldorf und auch aus St. Petersburg

oe
Stuttgart, 17/09/2008

Die Ferien gehen zu Ende, die Kompanien haben die Arbeit an ihren Stammhäusern wiederaufgenommen – aber die ersten Premieren lassen noch auf sich warten. Nicht so in Zürich, das bereits am 31. August zu William Forsythes kompletten „Artifact“ einlud – gefolgt von 12 weiteren Vorstellungen allein bis Ende des Jahres. Und das in der Stadt, die von manchen Kollegen als hoffnungslos „Schwanensee“-verseucht gemieden wird (so, dass sie zu Premieren schon gar nicht mehr hinfahren). Dreizehnmal „Artifact“ in fünf Monaten – das sollen Frankfurt und Dresden Zürich erst einmal nachmachen! Die sonstige Sommerbilanz fällt allerdings ungewöhnlich mager aus – übrigens auch meine persönliche mit nicht weniger als drei Notarzt-Krankenhaustransporten plus einem vierten Aufenthalt, zu dem ich mich allerdings noch per pedes begeben konnte (erneute Warnung vor einem Abbau der kj-Berichterstattung in den nächsten Monaten).

Die Großereignisse – Tanz im August in Berlin und die Tanzmesse in Nordrhein-Westfalen – meldeten alles in allem erfreuliche Besucherzahlen, aber überschwängliche Begeisterung löste keine dieser Mammutveranstaltungen aus – nicht einmal die lautstark vorangekündigte „Bahok“-Globalisierungsproduktion des derzeitigen Favoriten unter den Innovatoren, Akram Khan. Und auch die laut „Berliner Zeitung“ „delirierend schön“ begonnene 20. Ausgabe von Tanz im August muss sich von Manuel Brug zum Finale flehentlich ins Gedächtnis rufen lassen, dass doch bitte „nur ein klein wenig mehr getanzt werden“ müsste. Auch aus Düsseldorf eher Überdruss am Tanz aus aller Welt. Überwiegend zurückhaltend auch die Zustimmung zu Alain Platels „pitié“ zu Bachs Matthäus-Passion bei der Ruhrtriennale in Bochum.

Überraschend allerdings die auffallend zurückhaltende Berichterstattung der FAZ in puncto Tanz im August und Tanzmesse, die doch in früheren Jahren fast immer zu den Top-Events gerechnet wurden und diesmal allenfalls als Zweite Liga fungierten (allerdings entgeht einem dort leicht der eine oder andere Bericht, wenn man nicht regelmäßig die Sonntags- oder die Rhein-Main-Ausgabe der Zeitung liest). Auffallend auch, dass in der Hauptausgabe die ständige Tanzkorrespondentin seit Wochen nicht mehr groß zum Zuge gekommen ist. Hat es dort Veränderungen in der Redaktion gegeben? Umso verblüffender, die geschätzte Kollegin mit einem großen Bericht über „Balanchines verlorene Paradiese“ anlässlich eines Wochenend-Trip nach Paris vertreten zu sehen – allerdings nicht in der FAZ, sondern mit einem Report aus dem Deutschlandfunk, verlinkt im „tanznetz“.

Und was teilte sie uns direkt aus dem Balanchine-Paradies an der Seine mit? Dass es sich um ein Gastspiel des New York City Ballet handelte. Leicht irritierend allerdings, wenn dort in der Abschrift der Radiosendung von einem „Chor de Ballet“ die Rede ist (haben die alle gesungen?). Es ist nicht die einzige Neuigkeit, die man dort erfährt. So avanciert in diesem Bericht Peter Martins zum Chefchoreografen, während ihn die Liste der Kompaniemitglieder als „Ballet Master in Chief“ ausweist, und zu seinen Vorgängern werden laut Deutschlandfunk „Jerome Robblais und Christopher Whielden“ gezählt – wonach wir wohl damit beginnen müssen, ihre Namen neu zu buchstabieren (zumal da der bisherige Christopher Wheeldon inzwischen seinen Vertrag gekündigt und eine eigene Kompanie gegründet hat).

Überraschendes auch aus St. Petersburg im September-Brief der englischen Dancing Times von ihrem dortigen Korrespondenten Igor Stupnikov. Hatten wir bisher den Eindruck. dass die Ballettwelt nach der Erweiterung des Mariinsky-Repertoires um Balanchine, Forsythe, Neumeier und Quanz und der planmäßig voranschreitenden Modernisierung des altehrwürdigen Theaterbaus an der Newa in Ordnung sei, so erfahren wir, dass es dort offenbar ein heftiges Gerangel um die Position des Künstlerischen Ballettdirektors gibt – ein Posten, der dort gar nicht existiert, sondern der im Alleingang von Valery Gergiev, dem hochambitionierten Generaldirektor des international renommierten Opernhauses, mitverwaltet wird. Geleitet wird die Ballettkompanie seit Jahren von Makhar Vaziev als „Company Manager“. Das war dem verdienten Mann offenbar zu wenig, so dass er seinen Rücktritt eingereicht hat – offenbar in der Hoffnung, zum Künstlerischen Direktor befördert zu werden. Den Gefallen tat ihm Gergiev jedoch nicht, sondern ernannte den früheren Tänzer und langjährigen Coach Yuri Fateyev als Ballettmeister. Gergiev hat der Entlassung Vazievs bisher nicht zugestimmt, so dass also auch zu Beginn der neuen Saison hinter den Kulissen weiter eifrig geklüngelt wird. Man darf gespannt sein, in welcher Personalkonstellation das Mariinky-Ballett bei seinem Gastspiel in der Deutschen Oper Berlin vom 30. September bis zum 8. Oktober auftreten wird (außer Opern von Mussorgsky und Schostakowitsch am 3.10. „Schwanensee“ und am 4. und 5.10. „Le Corsaire“).

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