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Ein paar Büchertips!

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Stuttgart, 09/01/2008

Eigentlich ein Programmheft des Festivals „Cranko Moves Stuttgart“, hat sich die Publikation mit ihren 150 Seiten zu einem veritablen Buch ausgewachsen, mit zahlreichen Kilian-Fotos – und das angesichts des Umfangs zu dem alles in allem sehr zivilen Preis von 14,- €. Es bietet, eingeleitet von den obligatorischen Grußworten des Ministerpräsidenten und Oberbürgermeisters, das komplette Programm der Veranstaltungen anlässlich des 80. Geburtstags von JC von der Eröffnungsvorstellung mit „Der Widerspenstigen Zähmung“ am 25. Oktober bis zur Ballettgala am 1. Dezember, mit ausführlichen Hintergrundinformationen und Gesprächen mit den Beteiligten sowie eine Chronik über das Leben und Werk des Maestros. Darunter ein hochinteressantes Interview mit Marcia Haydée, die von Andrea Gern befragt wurde „Wie wird man komisch?“ – mit aufschlussreichen Äußerungen über die Art und Weise, wie Cranko an die Erarbeitung einer neuen Choreografie heranging –, und Bekenntnissen der beiden Hauschoreografen, Christian Spuck und Marco Goecke, über ihr Verhältnis zu Cranko, den sie ja nicht mehr persönlich kennengelernt haben.

Zustande gekommen ist auf diese Weise eine gut lesbare, exzellente Dokumentation über die Gründerjahre des Stuttgarter Balletts. Gern hätte ich noch ein weiteres Kapitel gesehen mit Informationen, was denn aus den Persönlichkeiten dieser Pionierjahre geworden ist – ich denke da etwa an Xenia Palley und Ana Cardus, an Hugo Delavalle und Kenneth Barlow – andere wiederum tauchen ja auch heute noch gelegentlich in den Vorstellungen auf. Und sicher hätte es nicht geschadet, mit ein paar Fotos an Madeline Winkler-Betzendahl zu erinnern, die ja in diesen frühen Jahren heftig mit den Kilians konkurrierte. Schließlich finde ich Birgit Keil unterrepräsentiert – aber das ist eine andere Story. Und da ich schon einmal dabei bin, was ich mir sonst noch wünschte – aber das hat nichts mit „Cranko Moves Stuttgart“ zu tun: dass ein Vierteljahrhundert nach dem Erscheinen von John Percivals grundlegender Biografie über John Cranko sich ein jüngerer Autor oder eine Autorin einmal an die Arbeit machte, sein Leben und Werk aus heutiger Sicht neu zu beleuchten (so, wie es Julie Kavanagh in ihrer fulminanten neuen Nurejew-Biografie vorführt).

Sehr viel bescheidener gibt sich der Taschenbuch-Band „Nahaufnahme – Alain Platel – Gespräche mit Renate Klett“ (24 Abbildungen, 176 Seiten, im Alexander Verlag Berlin, 2007, ISBN 978-3-89582-175-3, 12.90 €). Da handelt sich‘s um den belgischen Theatermacher, der als Mitbegründer der Compagnie Les Ballets C. de la B. in Gent um die Mitte der achtziger Jahre zu internationalem Ruhm gelangte – mit solchen Produktionen wie „lets op Bach“ und „Wolf“ (Mozart) sowie dann „vsprs“ (Monteverdi) und bei den Salzburger Festspielen letzten Jahres mit seinem „Requiem für eine Metamorphose“. Das ist nun eine Art von Tanztheater, wie sie sich Cranko wohl in seinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. Es sind tiefgründige Gespräche, die die prominente Berliner Theaterkritikerin Renate Klett mit dem Autor, Regisseur, Choreograf, ehemaligen Tänzer und Heilpädagogen geführt hat – keine leichte Kost, doch die Einsichten, die sie vermitteln, bieten eine entscheidende Hilfe zum Verständnis seiner so ganz und gar unkonventionellen Arbeiten.

Wieder ganz anders die ausgesprochen appetitanregende Publikation „Zeitsprung – Vier Generationen tanzen vier Jahreszeiten – Ein Projekt vom Tanztheater Bielefeld“, von Marion Meier (Text), mit Ursula Kaufmann und Cornelia Suhan (Fotos), erschienen im J. Kamphausen Verlag, Bielefeld 2007, 144 Seiten, zahlreiche Farbfotos, ISBN 978-3-89901-124-1, 19,80 €. Hier geht es um das generationsübergreifende Projekt einer Tanztheaterproduktion über die vier Jahreszeiten (nicht nur von Vivaldi) als Gemeinschaftsarbeit des professionellen Tanztheaters Bielefeld und einer über hundertköpfigen Laiengruppe, deren Mitglieder zwischen 7 und 78 Jahre alt sind. Die ursprüngliche Inspiration lieferte wohl Royston Maldoom mit seiner Berliner Einstudierung von „Rhythm Is It!“. Doch handelte es sich dort um eine Arbeit mit Schülern der verschiedenen Altersgruppen, so ging es Gregor Zöllig, dem Chef des Tanztheaters Bielefeld, um eine Zusammenarbeit seiner Profis mit Bielefelder Kindern und Erwachsenen aus verschiedenen Generationen.

Mit welche einem Eifer die insgesamt 120 Teilnehmer bei der Sache waren, bezeugen die ungemein lebendigen Fotos, die einen förmlich hineinreißen in den Sog der mehrmonatigen Probenarbeit, die dann von Maldoom in den letzten Tagen koordiniert und vorstellungsreif gemacht wurde. Bezeugen nicht zuletzt auch die reich eingestreuten Bemerkungen, Aufzeichnungen und Kommentare der Beteiligten, die hier plötzlich nicht nur völlig neue Bewegungsmöglichkeiten für sich entdeckten, sondern darüberhinausgehend bisher schlummernde Persönlichkeitspotentiale – ganz zu schweigen von den Sozialisierungseffekten zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Generationen. Jedenfalls kann man sich schwer vorstellen, dass Jugendliche, die hier mitgemacht haben, später irgendwelche Gewaltbereitschaftssymptome zeigen. Ulrich Völker hat hier schon am 5. November 2007 auf diese wichtige – und noch dazu so überaus opulent dargebotene Neuerscheinung aufmerksam gemacht, und ich kann ihm da nur hundertprozentig beipflichten. Zur Nachahmung dringend empfohlen!

Und als Finale noch ein Nachspiel zur Generation 1927! Kein Choreograf, keine Choreografin – und eigentlich auch kein ‚richtiges‘ Buch – sondern eine Frau, die zu einer Institution der Münchner Tanzszene geworden ist, und die in einem Dossier ihre „Erinnerungen an die Güntherschule“ resümiert. Es ist die am 26. Februar 1927 in München geborene Katharina Charlotte Wirthmiller, die Tanz-München nur Kitty nennt. In diesem mit sichtlicher Liebe zusammengestellten Band hat sie Kommentare, zahlreiche Fotos, Programme von Tanz- und Ballettabenden, Zeitungsausschnitte, viele Briefe, Persönlichkeitsprofile und Unterrichtsbeschreibungen versammelt – in München und während ihres heiratsbedingten Exils in Belgien (darum heißt sie heute Haine-Wirthmiller).

Ihre Münchner Aktivitäten beginnen mit einer Fotoauswahl der dreijährigen Dreikäsehochin als Babymitglied der Tanzgruppe Teresa Roth im Kinderfunk des Bayerischen Rundfunks. Es folgen dann ihre Ausbildungsjahre an der Ballettschule der Staatsoper, der sie von 1934 bis 1964 verbunden war, erst als Schülein, dann als Ensemblemitglied und zuletzt als Leiterin der Kinderballettschule (mit Heinz Bosl als Schüler-Etoile) bis zu ihrer Übersiedelung nach Namur, wo sie weiter unterrichtete, um dann 1998 wieder nach München zurückzukehren. Entscheidend wurde für sie (wie für viele andere, die mit ihr in Berührung kamen) ihre Begegnung mit Maja Lex, „die sich als Tänzerin, Pädagogin und Choreografin von Allem unterschied, was ich bisher kennengelernt hatte. Ich war wie hypnotisiert, und ihr total verfallen.“ Sie begann dann ihr Studium an der von Carl Orff und Dorothée Günther gegründeten Güntherschule und wurde Mitglied der Tanzgruppe. Welch ein reiches Leben! Es macht einen richtig neugierig, mehr zu erfahren über ihre Erinnerungen an die Münchner Jahre mit den Mlakars, die Uraufführungen von Egks „Abraxas“ und Gsovskys „Hamlet“ bis zu den Jahren von Alan Carter und Heinz Rosen. Es ist ein Buch, das man nicht kaufen kann, dessen Original im Archiv des Münchner Orff-Zentrums eingesehen werden kann – und in der Bibliothek der John-Cranko-Schule in Stuttgart, der ich mein Exemplar übereigne.

 

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