Grand Opéra – einmal mit, einmal ohne Ballett

Halévys „La Juive“ und Massenets „Le Cid“

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Zürich, 13/01/2008

Zürich, 12. und 13.01.2008. Ganz schön aufwändig diese beiden Vorstellungen an aufeinander folgenden Abenden – beide Musterexemplare der französischen Grand Opéra im Gefolge Meyerbeers – vier Stunden lang „La Juive“ von Jacques Fromental Halévy aus dem Jahr 1835 und „Le Cid“ von Jules Massenet, Jahrgang 1885. Beide erfordern ein großes Solistenaufgebot mit hochkarätigen Stimmen, große Chorbesetzungen und großem Ballett („La Juive“ wurde in der Uraufführung von Filippo Taglioni choreografiert, den Choreografen von „Le Cid“ habe ich auf die Schnelle nicht recherchieren können). Beides Supervorstellungen, kolossal beeindruckend, toll musiziert und gesungen, große Staatsaktionen, inszeniert von David Pountney (Halévy) und Nicolas Joel (Massenet) – „La Juive“ mit vollem Balletteinsatz (Choreografie: Renato Zanella, mit dem Junior Ballet) – „Le Cid“ ohne Ballett, leider, denn die Partitur enthält in zwei Akten ausgedehnte Ballettdivertissements, die auch musikalisch in ihrer spanischen Tintura durchaus reizvoll sind – „für die Handlungsstruktur“, indessen, laut Inszenierungskommentar, „keine Bedeutung haben“.

Na ja! Aufregendes Herumgelaufe ist schließlich kein Ersatz: eine „Grand Opéra“ amputiert um ein gattungsspezifisches Glied: very sorry indeed! Ausgesprochen positiv der Beitrag des Balletts in „La Juive“, dessen politischer Konfliktstoff – der Clash von fundamentalistischem Judentum, christlichem Antisemitismus und nationalem Chauvinismus – Pountney noch verstärkt hat, indem er die Handlung (das Konstanzer Konzil von 1414) in die Auseinandersetzungen um die französische Dreyfus-Affaire des Fin de siècle verlagert hat und im Programmheft eloquent dafür plädiert – wie schon bei seinen Inszenierungen von „Rienzi“ und „Wilhelm Tell“ in Wien –, „dass die meist gestrichenen, für die Grand Opéra unverzichtbaren Ballettmusiken nicht dem Rotstift zum Opfer fallen, und dass wir versuchen, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln dieses Genre neu zu beleben.“ Was ihm mit Zanellas Hilfe hundertprozentig gelungen ist.

Die Zeitverschiebung bietet Zanella die Möglichkeit, die Ballettszenen sogar noch zu erweitern mittels der Beteiligung von sechs Elevenpaaren à la Degas, die von Beate Vollack und Christian Rovny als Maîtres de ballet nicht nur als Staffage, sondern auch in einem mehrteiligen Training präsentiert werden. Da sind Zanella ausgesprochen hübsche, individuell pointierte Genreszenen gelungen, rhythmisch pikant gewürzt, sehr französisch duftig und leicht. Und mit Vollack und Rovny zwei spitzfindig karikierte Aufsehertypen, dass man sich wünscht, Zanella würde sich einmal des „Kadettenballs“ annehmen, um nicht nur die Rollen der Gouvernante und des alten Generals, sondern auch das Corps der Debütantinnen und Kadetten von ihren unsäglichen Lichine-Klischees zu erlösen. Wenn schon „Kadettenball“ – und die Musik fordert natürlich dazu heraus –, sollte ihn Robert North als neuer Chef der Münchner Akademie für seine Zöglinge von Zanella neu choreografieren lassen. Den Zwölf vom Zürcher Junior-Ballett hat das offenbar großen Spaß gemacht, und hübsch sehen sie aus, wie Marie-Jeanne Lecca sie à la Degas kostümiert hat, dass man seine helle Freude an ihnen hat. Mal sehen, wie Jossi Wieler und Serge Morabito bei ihrer bevorstehenden Stuttgarter „La Juive“-Produktion mit diesen Ballettszenen umgehen!

 

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