Ein sommerliches Intermezzo

Nachtrag zur Spielzeitbilanz 2007/08

oe
Stuttgart, 04/09/2008

Eigentlich hatte ich mich ja am 31. August mit der Zürcher Forsythe-Premiere von „Artifact“ zur neuen Spielzeit zurückmelden wollen. Aber dann kam alles ganz anders! Am Anfang der Woche meldete sich plötzlich Hella Troester auf einen Kurzbesuch in Stuttgart an. Und als sie dann in der Tür zu meiner Wohnung stand, konnte ich in Anlehnung an einen bekannten damaligen Film nur murmeln: Hella, Du bist wunderbar! Sie, aus musischer Berliner Familie stammend, Nichte von Arthur Troester, dem berühmten Cellisten, der wiederholt mit Furtwängler spielte, jetzt kurz vor ihrem Fünfundsiebzigjährigen – ich die 81 bereits hinter mir. Und ein Erzählen hebt an, das im Wirbelwind die fünfziger Berliner Luftbrückenjahre durcheilte, dann die Sechziger und frühen Siebziger, bei Gustav Blank in der Kalckreuthstraße und an der Städtischen Oper, bei Erich Walter und Heinrich Wendel in Wuppertal, bei Gise Furtwängler in Münster, Oberhausen und Köln, wo sie ihre Karriere beendete. Die Namen, die alle plötzlich wiederauflebten: Denise Laumer, Helga Held und eben diese wunderbar musikalische, feinstgliedrige Helga Troester, Günter Mettin, Egon Pinnau, Heiner Schunke und ein gewisser blutjunger Egbert Strolka – und immer und immer wieder von ihr als Partner und Lehrer in den höchsten Tönen gepriesen: Peter Appel. Und als sie dann 1971 aufhörte, begann ihr zweites Leben – in Mönchengladbach, wo sie noch heute lebt, ein wundervoll erfülltes Leben. Fast kamen wir uns – auch ohne Goethe – wie Philemon und Baucis vor.

Kaum hatte sie mich verlassen, erwischte es mich am gleichen Abend in meiner Wohnung aufs Schlimmste: ein Hüftunfall mit Notfalltransport ins Stuttgarter Diakonie-Klinikum. Und da liege ich nun nach einer Woche noch immer (und wohl noch die nächste Woche). Also war's nichts mit dem geplanten Besuch der Zürcher Forsythe-Premiere! Das bedeutete aber die Gelegenheit zu meiner hier zuletzt veröffentlichten Bilanz der Spielzeit 2007/08 (da fallen einem ja erfahrungsgemäß immer noch ein paar erwähnenswerte Events erst hinterher ein). Also dann! Zu den zu registrierenden Abschieden noch zwei, die sicher eine etwas herzlichere Würdigung verdient hätten: der von Roland Gawlik, langjähriger Traumpartner von Hannelore Bey während der glücklichen Schilling-Ära an der Komischen Oper in Ostberlin, der es dann geschafft hat, als Ballettchef eine der größten und funkelndsten Revueballettkompanien der Welt aufzubauen – und der ein bisschen allzu stille Abschied von Ingrid Bruy als Verwaltungschefin des Stuttgarter Balletts, die in den Jahrzehnten ihrer Aktivitäten zu einer Mutter der Kompanie geworden war, mit einem offenen Ohr für die Kümmernisse und Sorgen eines jeden Boys und Girls. Beiden einen Ehren-oe!

Ja, und dann hätte ich doch fast versäumt, die eine Sternstunde des deutschen Balletts der Spielzeit festzuhalten: der Moment, als Polina Semoniova im Schlusssatz von Clark Tippets „Bruch Violin Concerto No. 1“ bei der Premiere in der Berliner Staatsoper Unter den Linden als Ballerina in Blau ihre Rosen-Adagio-Arabesque hält und hält und hält, dass ich vermeinte, Elisabeth Schwarzkopf als Feldmarschallin durch den Raum gehen zu sehen, mit ihrem „Und lass die Uhren alle, alle stehen …“. Und doch auch zwei nachzutragende Ärgernisse: die vollkommene Tanz-Kapitulation der Stadt Köln (kein Wunder nach der Zumutung von Amanda Millers „Giselle“-Produktion) – und der Rückzug der FAZ aus der aktuellen Tanzberichterstattung.

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