... tanzt wie Popcorn in der heißen Pfanne

Für Bewusstheit in der Tanzgestaltung

Berlin, 30/05/2007

Vorliegende Neuerscheinung „Vom Tanz zur Choreographie“ ist ein äußerst praktikables Arbeitsbuch für Tanzpädagoginnen und Tanzpädagogen, das auf 297 Seiten (zuzüglich einer Diskographie und Literaturverzeichnis) nachvollziehbare Anregungen vermittelt, um im nichtprofessionellen Bereich – für den Tanzunterricht an Schulen, Universitäten, in Ausbildungsklassen für Tanzgruppen in Sportvereinen und für Kurse in der „Freien Szene“ die kreative Bewusstheit in der Tanzgestaltung zu intensivieren.

Gitta Barthel (Tänzerin, Choreographin, Pädagogin), die über mehrere Semester „Modernes Tanztraining“ an der Universität Bremen unterrichtete, hat ihre langjährigen Erfahrungen im Austausch mit Hans-Gerd Artus (1973-2006 Professor für Theorie und Praxis des Sportunterrichts an der Universität Bremen) in dieses Buchprojekt einfließen lassen.

Das Arbeitsbuch gibt Anregungen für Tanzpädagogen wie für die Tanzenden. Es schlägt detailliert entwickelte Unterrichtseinheiten und Laboratorien vor, die den Tanzenden in einen bewussten Prozess von praktischem Erproben und kollektiver Auswertung des Gesehenen stellen. In den Unterrichtseinheiten behandelt die Tanzpädagogin ein Thema anleitend, in den Laboratorien wird dem eigenen Experimentieren der Tänzerinnen und Tänzer ein Forum gegeben, das pädagogisch moderiert wird.

Die Inhalte sind auf der Basis der zeitgenössischen Tanztechnik entstanden (gespiegelt auch in vielen s/w-Fotos), können aber auf Tanzpädagogen und Tanzende anderer Tanzstile und Tanztechniken übertragen werden.

Vielfältig im Ansatz sucht dieses Arbeitsbuch nach Möglichkeiten, wie das Interesse der Tanzenden an eigener Tanzkreation zu entwickeln und das Wissen um choreographische Zusammenhänge und Wirkungsweisen bewusst zu vertiefen wäre.

Gitta Barthel macht Vorschläge für die praktische Arbeit, die von Hans-Gerd Arthus theoretisch fundiert eingeordnet sind. Auffallend ist die einladende Sprache zum Ausprobieren an die potenziellen Adressaten. Die Kapitel des Buches unterscheiden in ihren Beschreibungen und Aufgabenstellungen dabei deutlich zwischen abstrakten und inhaltlichen Tanzkonzepten (wie sie sich auch tanzhistorisch gegensätzlich entwickelt haben). Wichtige Aspekte sind u.a.: Spontanes Gestalten –abstrakt oder inhaltlich, Erfahrungen mit der unterschiedlichen Bewegungsqualität, Energie, Zeit und Raum als grundlegende Parameter menschlicher Bewegung, die in unterschiedlichen Improvisationen – mittels beigefügtem „Kartenspiel“ – verändert werden, Anregungen zu Improvisationsreisen im Unterrichtsverlauf, das Erspüren gegensätzlicher Bewegungsqualitäten, die Komposition – vom Bewegungsmotiv zur Bewegungsfolge und ihren Variationen, Umgang mit aleatorischen Kompositionsverfahren, Möglichkeiten der kreativen Einschränkung, themenbezogene Stilisierung, Musik und Emotion, Emotionsreisen mit dem „Zauberball“ wider die Gefahren gängiger Bewegungsklischees, die Rolle der Imagination – „Getanzte Antipasti“ und andere unorthodoxe Ansätze bei der Entwicklung eigenen Bewegungsmaterials. Erst im Kapitel „Kreativer Konflikt“ (ab Seite 201) widmet sich das Buch ausführlicher narrativen Tanzstücken und fokussiert die Beweg-Gründe als inhaltlichen Impuls für Bewegung. Allerdings ist das an einem befragenswerten Beispiel (Mensch – Insel – Meeresströmung) dargelegt (S. 203).

Das Buch gibt wertvolle Anregungen zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Tänzerinnen und Tanzpädagogin, zur sozialen Kompetenz der Tanzenden, zum Training des Körpergedächtnisses, zum Showing als wichtige Schulung des „Choreographischen Auges“ der Interpreten.

Ein informativer, wichtiger Schwerpunkt ist das Kapitel zur Bewegungswiederholung. Die formulierten Fragestellungen treffen den Kern kreativer Prozesse in Komposition und Interpretation, sie laden durchweg zum Weiterlesen ein. Wann schlägt die Wiederholung der gleichen Bewegungsfolge in Langeweile um? Wie lassen sich in der gleichen Bewegungsfolge verschiedene emotionale Qualitäten zum Ausdruck bringen? Wie können Tänzerinnen mit Bewegungsqualitäten vertraut gemacht werden, die ihnen bisher nicht geläufig sind? Auch die hier nachdrücklich und klar formulierten „Kriterien zur Bewertung von Tanzstücken“ sind wie im Kapitel „Von der Improvisation zur Komposition“ bewusst in Frageform gefasst. Kommt die Erzählabsicht der Choreographin so zum Ausdruck, dass der Zuschauer sie nachvollziehen kann? Trägt der Spannungsbogen des Stückes? Überzeugen speziell Anfang und Ende des Stückes? Diese grundlegenden Kriterien rücken bei den Work-In-Progress-Showings ins Bewusstsein. Sie werden zum festen Bestandteil der Auswertungsgespräche innerhalb der choreographischen Laboratorien, in denen die Tänzerinnen die Rolle der Choreographin einnehmen. Im Musik-Laboratorium geht es um die Wahrnehmung und improvisatorische Erprobung unterschiedlicher Beziehungen zwischen Musik und Bewegung. Im Improvisations-Laboratorium können metaphorische Vorstellungsbilder die Körperempfindungen und Körperbefindlichkeiten anregen. Ob die Aufforderung: „bewegt euch wie ein Käsefondue“ ein wirklich zwingender Subtext ist, sei dahin gestellt. Zeit- und Raum-Laboratorien vertiefen wichtige Erfahrungen, die im Duo- und Trio-Laboratorium weiter erprobt werden können. Im abschließenden Kompositions-Laboratorium agiert ein Tänzer konsequent als Choreograph, der das Stück eigenverantwortlich konzipiert, probiert und bis zur Aufführung realisiert. Dabei ist es erneut verdienstvoll, auf die Problematik der Strukturierung des Themas hinzuweisen. Die Autoren unterstreichen: „Wesentlich ist allerdings, dass mit den Tänzerinnen immer klar kommuniziert wird, welche Rolle ihnen beim Suchen nach Bewegungsmaterial und bei der Gestaltung des Stückes zukommt. Viele Missverständnisse treten in der Zusammenarbeit gar nicht erst auf, wenn die Choreographin ihre Erwartungshaltung eindeutig äußert.“ (S. 294) Das Buch ist sehr gut lesbar und übersichtlich gegliedert. Hervorhebungen markieren Zusammenhänge und Aufgabenschwerpunkte. Die Publikation unterbreitet Vorschläge, um eigene Zusammenstellungen der Arbeitsaufgaben (Unterrichtseinheiten) zu wählen und diese nach den eigenen Gegebenheiten zu kombinieren. Die Formulierungen verstehen sich trotz ihrer Genauigkeit nie als Dogma, sondern beschreiben auf wohltuend einladende Art Möglichkeiten tänzerischen, choreografischen und pädagogischen Zugriffs. Dadurch bekommt das Buch eine einladende Offenheit für den Nutzer, der mit seinen eigenen konkreten Arbeitsschwerpunkten und Arbeitserfahrungen im tanzpädagogischen wie im tänzerischen Bereich in Beziehung treten kann.

 

Gitta Barthel, Hans-Gerd Arthus Vom Tanz zur Choreographie Gestaltungsprozesse in der Tanzpädagogik ATHENA-Verlag, Oberhausen 2007 ISBN 978-3-89896-284-1

 

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