Tanz Skulptur Raum – Ein Lexikon von Nele Lipp

Beziehungen zwischen Tanz und Bildender Kunst

Berlin, 06/04/2007

Wie eng und vielgestaltig die Beziehungen zwischen Tanz und Bildender Kunst seit mehr als hundert Jahren sind, unterstreicht diese informationsintensive Publikation von Nele Lipp. Die Autorin stellt, basierend auf ihren Recherchen zum Ausstellungskatalog „Körper Leib Raum“, ein Kompendium vor, dass sich dem wechselseitigen Darstellungspotenzial von tänzerischer Entäußerung und Bildhauerei, von Tänzern, Choreografen und Bildhauern widmet. Beim Nachlesen und Nachdenken erfährt der Suchende Wissenswertes über Wurzeln, Querverbindungen und Divergenzen der darstellenden und bildenden Künste und Künstler in gemeinsamer Bewegung. Die Fülle an tanzhistorischen, biografischen und ästhetischen Informationen und Arbeitsansätzen der künstlerischen Zusammenarbeit setzt den Leser in Erstaunen. Dieses neue Lexikon mit 180 alphabetischen Einträgen (ein Personenregister wäre wünschenswert) widmet sich ganz unterschiedlichen Künstlern und ihrem jeweils auf den Tanz bezogenen bzw. von der Bildhauerei inspirierten Schaffen. Das Lexikon umspannt den Zeitrahmen vom 16. Jahrhundert (der Skulptur „Fliegender Merkur“ von Giovanni da Bologna um 1580) mit Schwerpunkt 1900 bis in die Gegenwart.

Aus dem interessant komprimierten Text- und s/w-Bildmaterial erfährt der Leser dezidiert die Breite der Kooperationen zwischen Bildenden Künstlern sowie Tänzern und Choreografen.

Der Fokus liegt auf Entwicklungen im deutschsprachigen Raum, die mit Kunstprozessen in den USA, Japan, in Russland und anderen europäischen Ländern verknüpft sind: bewegte und tanzende Skulpturen, Maschinen-Menschen, Kinetische Kunst von Fabrizio Plezzi, Rebecca Horn, Naum Gabo, Stelios Arcadiou, Frédéric Flamand, Günther Uecker oder Samuel Becketts TV-Versuchsanordnung Sqare I/II für vier Figuren (1981) sind ebenso präsent wie Konzeptkunst, Prozesskunst, Konzepttanz von Boris Charmatz, Jérome Bel oder Oskar Schlemmers totales Theater der formalen Abstraktion („Triadisches Ballett“, 1922) als prominenter Vorläufer der modernen Performance.

Die avantgardistischen Kunstströmungen des 20. und 21. Jahrhunderts: Surrealismus, Dadaismus, Aktionskunst, Happening, Body Art von Beuys, Muehl oder Nitsch, Bruce Nauman, Marina Abramovic in Reflektion auf choreografische und tänzerische Arbeiten von Xavier LeRoy, Gerhard Bohner, Bill T. Jones, Meg Stuart, Nigel Charnock, Johann Kresnik, Felix Ruckert, Sasha Waltz u.a. finden Erwähnung.

Von Verweisen zu Tanz und Puppen (von Hannah Höch, Lotte Pritzel, Anita Berber, Kleists Essay „Über das Marionettentheater“, Coppélia, Petruschka bis zu Pygmalion-Balletten) oder Tanz und Masken in Arbeiten von Victor Magito, Mary Wigman, Sigurd Leeder, Hein Heckroth, Kurt Jooss, Harald Kreutzberg, Jean Weidt, Arila Siegert (Oda Schottmüller, die tanzende Bildhauerin fehlt leider) sowie Anmerkungen zur Tradition der barocken Tableaux vivants/der lebenden Kunstwerke bis zu plastischem Tanz und zeitgenössischen Mensch-Objekt-Skulpturen in Arbeiten von Erwin Wurm, Ingo Reulecke reicht die Spannbreite der Informationen.

Der symbolistische Bühnenraum des Edward Gordon Craig, der abstrakt-rhythmische Bühnenraum von Adolphe Appia als Inspiration für Loie Fuller, Isodora Duncan, Oskar Schlemmer; Merce Cunningham und seine Arbeitspartner Robert Rauschenberg, Andy Warhol, Jasper Jones und Robert Morris, Marcel Duchamp; surrealistische Bildelemente von Salvatore Dali, Pablo Picasso in Choreografien von Léonide Massine; das Spiel mit Perspektiven im choreografischen Bildertheater von William Forsythe, Jo Fabian u.a. sind vertreten.

Nele Lipps Anmerkungen ermöglichen dem Leser in dieser umfangreichen Datensammlung spannende Zusammenhänge (z.B. Marcel Duchamp – Joseph Beuys – Susanne Linke – Johann Kresnik) zu erkennen. Nützlich sind die zusätzlichen Literaturhinweise.

Nele Lipp plant ein vierbändiges Gesamtlexikon (mit 1350 Einträgen), das sich den Themenfeldern Tanz/Bild, Tanz/Intermedia und Tanz/Architektur (Teilpublikation liegt vor und ist bei der Autorin direkt für 15,- Euro zu bestellen) widmet. Der Band Tanz/Bildhauerei liegt für diese Besprechung als Auszug vor.

Das Nachschlagewerk „Tanz Skulptur Raum“ unterstreicht, dass Kunstgeschichte im Allgemeinen und Tanzgeschichte im Speziellen einen vielgestaltigen Prozess permanenter Grenzüberschreitungen und Interaktionen darstellt. Dieses Lexikon ist ein nützlicher Führer zu den Schnittstellen zeitgenössischer Kunst und insofern auch ein faktenreicher Beleg gegen eine verflachende Verortung heutiger Tanzkreation und Rezeption in der Eindimensionalität der Gegenwart. „Tanz Skulptur Raum“ sei allen Kunstinteressierten, Bibliotheken und Schulen anempfohlen.

 

Tanz Skulptur Raum Ein Lexikon von Nele Lipp Marl 2006 39,- Euro ISBN 3-924790-73-6 direkt bei der Autorin zu bestellen unter: nele@koinzi.de

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