Koloraturen wie ein Pas-de-bourrée-Tornado

Cecilia Bartoli als Händels Semele

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Zürich, 19/01/2007

Nicht Kyrill hieß der Tornado, der an diesem Abend auf der Bühne des Zürcher Opernhauses tobte, sondern Cecilia! Eine Opernvorstellung, keine Ballettbeteiligung – ist auch nicht vorgesehen, trotz Händel. Also Oper straight! Und doch wieder auch nicht: Oper nach der Art eines Oratoriums nennt Händel selbst seine 1744 in London uraufgeführte „Semele“ – ein hinreißendes, musikalisch geradezu überwältigend reiches Stück über die amour fou von Jupiter und Semele, die ihrer Selbstverliebtheit und Eitelkeit zum Opfer fällt als sich ihr Jupiter, ihrem Ehrgeiz folgend, nicht in seiner menschlichen Schwäche, sondern in seiner ganzen göttlichen Herrlichkeit, samt Donnern und Blitzen, offenbart und sie an seinem Feuer verbrennt.

Wie gesagt: ein tolles Stück – für mich, der ich ein großer Händel-Liebhaber bin, eine der faszinierendsten Händel-Opern überhaupt (die andere ist „Alcina“). Und eine Superaufführung im Opernhaus Zürich – mit einer Spitzenbesetzung: William Christie als Dirigent, Robert Carsen als Regisseur, Patrick Kimmonth als Ausstatter – sowie Cecilica Bartoli als Semele und Charles Workman als Jupiter, aber auch die anderen Rollen sind ausnahmslos alle internationale Spitzenklasse. Einen Choreografen gibt es auch: Philippe Giraudou, aber der tritt nie in eigener Sache in Erscheinung, sondern offenbar als Bewegungszulieferer in den großen Chorszenen und den zahllosen Verführungs- und Liebesszenen. Eine hinreißende Vorstellung, die mich ungemein begeistert hat – für mich die beste überhaupt der laufenden Spielzeit, zusammen mit der neuen „Arabella“ in Wien und der „Ariadne auf Naxos“, ebenfalls in Zürich.

Und ich wüsste nichts, was mich in der laufenden Spielzeit an Ballettvorstellungen auf gleicher künstlerischer Ebene ebenso begeistert hätte – eine Etage darunter allenfalls die beiden „Don Quixotes“ vom Bolschoi in Baden-Baden und in Zürich sowie Goeckes „Nussknacker“ in Stuttgart (keine der drei Produktionen, über die die Zeitung, hinter der angeblich ein kluger Kopf steckt, ihre Leser zu informieren für nötig gehalten hätte – aber die schickt ihre Berichterstatterin bekanntlich lieber nach Köln oder nach Bielefeld). Lange Vorrede für einen eigentlich eher kurzen Kommentar! Und der betrifft Cecilica Bartoli – ihre erste Bühnenrolle in englischer Sprache.

Ich habe viele große Sängerinnen erlebt: Callas natürlich, de los Angeles, Tebaldi, Nilsson, Schwarzkopf etcetera pp. Auch solche Stratosphären-Artistinnen wie Rita Streich, Sylvia Geszty, Reri Grist, Edita Gruberova und Natalie Dessay – aber keine, die eine derartig „geläufige Gurgel“ (Mozart) besessen hätte wie die Bartoli – auch nicht die Sutherland. Ein Wunder! Und vor allem diese schier endlosen Piano- und Pianissimo-Koloraturen. Atemberaubend – wenn schon nicht für sie als Ausführende, sondern für mich als bloß Zuhörenden.

Und das lässt mich fragen, gibt es ein vergleichbares Phänomen im Ballett? Da bestaunen wir die technischen Virtuositäten der Solovariationen in „Giselle“, „Schwanensee“, „Don Quixote“ und „Le Corsaire“. Aber ich kann mich aus über fünfzigjähriger Erfahrungspraxis nicht daran erinnern, je im Ballett so atemlos einer Folge von minuziös differenzierten technischen Virtuositätspräsentationen zugesehen zu haben, wie ich sie an diesem Abend in Zürich von Cecilia Bartoli gehört habe. Gibt es überhaupt Entsprechendes im Ballett? Das wäre ja, als wenn die 32 Fouettés des „Schwarzen Schwans“ zweiunddreißig Mal variiert würden! Kann ich mir nicht vorstellen! Was war das? Ein Tornado aus lauter minuziösesten Pas de bourrées, der da, Zeit und Raum entgrenzend, durch die Luft peitschte?

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